Clash im Sanitärbereich

Türkei/Deutschland Normalerweise sind Gipfeltreffen geeignet, den einen oder anderen Stachel aus dem bilateralen Beziehungsgefüge zu ziehen. Manchmal gelingt auch das Gegenteil
Beim Gesprächsauftakt in Ankara wurden noch Hände geschüttelt
Beim Gesprächsauftakt in Ankara wurden noch Hände geschüttelt

Foto: Adem Altan / AFP

Seit Kanzlerin Angela Merkel vor Wochenfrist in Ankara vorgesprochen hat, sitzt der Stachel zwischen der Türkei und Deutschland erst richtig tief. Und ausgerechnet in Anatolien, wo sich die Bundeswehr als potenter Bündnishelfer und potenzieller Raketenwerfer ordentlich ins Zeug legt, geben die Gastgeber zu verstehen, einen offenbar nicht übermäßig willkommenen Waffenbruder zu erdulden. Der Wehrbeauftragte Hellmut Königshaus von der FDP hat Schikanen bis hin zur Missachtung deutscher Hygiene-Vorschriften auf dem türkischen Kasernenabort erspäht. Und dies laut kundgetan, wie es sich gehört, wenn Kulturen sanitär aufeinander prallen. Merke: Wenn deutsche Soldaten zusehends weltweit Ordnung stiften, muss mehr auf den Wellness-Tross geachtet werden. Schneller nachführen, lautet die Devise.

Statement als Provokation

Freilich verblassen die Reklamationen des Wehrbeauftragten, wenn man sich statt des Abtritts in Anatolien einen Auftritt in Wien vor Augen hält, von dem sich die EU, vor allem aber Deutschland, herausgefordert fühlen sollten. Gäbe es in der Europäischen Union nicht nur eine Liste, die mutmaßliche islamistische Terrorristen erfasst, sondern auch Verbal-Terroristen offen steht, gäbe es einen ernstzunehmenden Aspiranten, der für ein solches Täter-Dossier in Betracht käme: Türkei-Premier Tayyip Erdogan. Wenn der, wie auf einer UN-Konferenz in Wien zur „Allianz der Zivilisation“ (!) geschehen – den Zionismus geißelt, um ihn auf eine Stufe mit Antisemitismus und Faschismus zu stellen, wird das Statement zur Provokation.

Die Europäer können das schlecht als Ausrutscher oder Kavaliersdelikt abtun. Sie haben hier immerhin das Werturteil eines Regierungschefs gehört, dessen Staat bei ihnen Vollmitglied werden will. Wie man weiß, werden die Aufnahmegespräche verzögert und dümpeln in einem für den Bewerber wenig erfreulichen Stadium der Stagnation dahin. Nicht auszuschließen, dass sich Tayyip Erdogan mit seinem Zionismus-Verdikt auch für die aus seiner Sicht brüskierende Behandlung in Brüssel schadlos hält und keine Rücksicht auf den dortigen P.C.-Kodex mehr nimmt. Aber reicht das, um eine derartige Äußerung zu erklären?

Kein Zweifel, das Verhältnis zwischen Ankara und Jerusalem ist empfindlich gestört, seit vor knapp drei Jahren im Mittelmeer das Gaza-Solidaritätsschiff Mavi Marmara von israelischen Militärs gekapert und dabei neun türkische Staatsbürger getötet wurden. Auch dass sich die Türkei als Regionalmacht begreift und um eine Co-Regie bei der Neuordnung Arabiens nach der Arabellion bemüht, muss die israelisch-türkischen Beziehungen nicht unbedingt fördern. Entscheidender aber ist der Umstand, dass sich Erdogan mit seiner Stigmatisierung des Zionismus islamistischen, teils militant anti-israelischen Kräften andient, die in Syrien nach der Staatsmacht greifen oder sie wie in Ägypten oder den Golfmonarchien bereits beherrschen. Darin besteht die eigentliche Brisanz des Wiener Eklats, der immerhin eine Woche beendet, in der sowohl Kanzlerin Merkel als auch Verteidigungsminister de Maizière die Türkei besucht haben. Beide nutzten die Gelegenheit, die dorthin verlegten Bundeswehreinheit anzusteuern und übernahmen bereitwillig die türkische Version für den Grund dieser Präsenz: Man müsse gegen Angriffe aus Syrien gewappnet sein, als deren potenzieller Verursacher die dortige Regierungsarmee gilt. Welcher Logik gehorcht dieses Annahme? Keiner. Die Streitkräfte des Präsidenten Assad stemmen sich derzeit gegen fortschreitenden Terrainverlust im eigenen Land. Warum sollten sie einen Schlagabtausch mit der Türkei riskieren, der im Handumdrehen auf eine Konfrontation mit der NATO hinausliefe?

Umgehend abziehen

Merkel und de Maizière lassen sich dennoch vor Erdogans Karren spannen. Ob aus Überzeugung oder opportunistischem Kalkül ist irrelevant, wenn sich Tayyip Erdogan mit einem Affront revanchiert, der die Bundesrepublik Deutschland mit ihren Patriot-Raketen zum Koalitionär eines aggressiven Anti-Zionisten zu stempeln droht. Wie verträgt sich das mit Merkels Auffassung, nach der das Eintreten für das Existenzrecht Israels Teil der deutschen Staatsräson ist? Der Zionismus, die Suche nach einer Heimstatt für das jüdische Volk, wurde nun einmal dank Theodor Herzl und seiner Zionistischen Weltkongresse Anfang des 20. Jahrhunderts, zur Gründungsideologie dessen, was am 14. Mai 1948 in Palästina als Staat Israel ausgerufen wurde. Wer den Zionismus diffamiert, greift diesen Staat an.

Mit anderen Worten, die Bundesregierung sollte deshalb die deutschen Patriot-Batterien umgehend abziehen, um nicht in den Verdacht zu geraten, sie toleriere und unterstütze mehr als nur indirekt die Israel feindlichen Positionen eines Bündnispartners.

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