Es stand von vornherein außer Zweifel, dass die Erwartungen zu hoch waren und zu hochgeschraubt wurden, als das Atomabkommen im Juli 2015 unterzeichnet war. Das Junktim – Verzicht auf das Nuklearprogramm gegen Entlassung aus weltpolitischer Ächtung wie Isolation – ließ hoffen, dass die seit Jahren gegen die Islamische Republik verhängten Wirtschaftssanktionen über kurz oder lang verschwinden. Es schien ein Zeitalter der sozialen Wohlfahrt und Prosperität heraufzuziehen.
Die Zäsur war unabdingbar, denn 2015 waren zwei Drittel der rund 75 Millionen Iraner jünger als 30 Jahre, dagegen nur etwa sechs Prozent älter als 65. Eine sich stetig verjüngende Gesellschaft stieß an Grenzen, wie sie einerseits die patriarchale Ordnung eines klerikal geprägten Staates wie ein zu geringes wirtschaftliches Leistungsvermögen setzten. Ein Aufstand der Entrechteten und sozial Deklassierten lag schon 2015 in der Luft, hätte der Nuklearvertrag dem schiitischen Establishment nicht einen Aufschub gewährt. Doch wer zu viel verspricht, den bestrafen die Realitäten. Und sie tun es erst recht, wenn der Einfluss darauf begrenzt ist.
Auch wenn das Lieferlimit für Erdöl und -gas alsbald entfiel, blieb für Iran der Zugang zu den Finanzmärkten 2015/16 weiter blockiert. Zudem hatte das Oberste Gericht in Washington im April 2016 entschieden, dass in den USA eingefrorene iranische Guthaben von zwei Milliarden Dollar an die amerikanischen Familien der Opfer eines Bombenattentats im Libanon aus dem Jahr 1983 zu fließen hätten. Beim Anschlag auf eine US-Kaserne in Beirut waren seinerzeit 241 US-Soldaten getötet worden. Wer immer seither im Weißen Haus regierte, machte Teheran für diesen Anschlag verantwortlich, den schiitische Milizen verübt hatten. Damals hatten die USA zugunsten der Armee des Libanon in den dortigen Bürgerkrieg eingegriffen und waren zur Konflikt- wie Kriegspartei geworden. Über die Klage Teherans gegen den Beschluss der US-Judikative hat der dazu bemühte Internationale Strafgerichtshof (IGH) in Den Haag noch nicht entschieden.
Keine Klientelpolitik mehr
Die iranische Ökonomie wie der Haushalt bleiben bis heute von den Öl- und Gasausfuhren abhängig – zu gut 40 Prozent allein der Staatsetat, der angesichts des sich erst in jüngster Zeit abschwächenden Preisverfalls auf den internationalen Rohstoffmärkten kaum aufgestockt werden konnte. Damit waren Preissubventionen kaum in dem Maße möglich, wie vor der Präsidentenwahl im Mai 2017 versprochen. Von staatlichen Hilfen zum Abbau der Arbeitslosigkeit in Randzonen der mittleren und großen Städte ganz zu schweigen. Das sich dort konzentrierende Prekariat, oft rekrutiert durch die Abwanderung aus ländlichen Regionen, lebt häufig unterhalb des Existenzminimums. Es hat Zuversicht und Geduld verloren – wenn das Geld durch eine Inflationsrate zwischen zehn und elf Prozent stetig an Wert verliert, ist sozialer Aufruhr in Städten wie Maschad, Dorud oder auch Teheran unausweichlich.
Nach den Wahlen zum Parlament und Expertenrat am 26. Februar 2016 hatte sich die Regierung von Präsident Hassan Rohani, gestärkt durch ein leichtes Übergewicht des reformerischen Lagers, auf die jungen gut ausgebildete Mittelschicht konzentriert, auch die Einfuhren hochwertiger und teurer Konsumgüter waren darauf abgestimmt und kein Beitrag zur Armutsbekämpfung. Aus dem Blickfeld geriet jene sozialpolitisch ehrgeizige Klientelpolitik zugunsten der urbanen Unterschicht, wie sie noch der frühere Präsident Mahmud Ahmadinedschad (im Amt 2005 – 2013) betrieben hatte, um sich der Sympathie einer oft tief religiösen Schicht der Entrechteten zu versichern. Es sind hier wie anderswo im Mittleren Osten die Verlierer der Modernisierung, die sich – teilweise gewaltsam – Geltung verschaffen und den Aufstand proben, wie das schon in der Anfangsphase des Arabischen Frühlings in Tunesien, Ägypten und Syrien zu beobachten war. Überdies sollte nicht außer acht gelassen werden, dass Teheran sein militärisches Engagement in Syrien einiges kosten dürfte.
Rohani in Gefahr
Es ist nicht auszuschließen, dass konservative Kreise die Unruhen schüren, um die Zügel zu straffen und gegen den Präsident Terrain zurückzugewinnen, das bei den Wahlen der vergangenen Jahre (2016/17) verlorenging. Nach der Abstimmung über das zehnte Parlament nach der Islamischen Revolution von 1979 verfügten Reformer, gemäßigte und moderate Konservative über eine relative Mehrheit von 41 Prozent, während die Konservativen und Hardliner nur noch auf gut 27 Prozent der Mandate kamen. Damit haben in der laufenden Legislaturperiode unabhängige Abgeordnete mit regionalen wie lokalem Bezug besonderes Gewicht, was sich in der augenblicklichen Situation noch bemerkbar machen kann.
Setzen sich die restaurativen Kräfte durch, um die Islamische Republik zu radikalisieren, kann das der US-Administration einen endgültigen Ausstieg aus dem Atomvertrag erleichtern. Die ersten Vorkehrungen sind bekanntlich bereits getroffen, seit Donald Trump Mitte Oktober die im Abstand von 90 Tagen fällige Bestätigung des Atomabkommens verweigert, womit er der klerikalen Oberschicht um Revolutionsführer Ali Khamenei womöglich einen Gefallen getan hat. Sie hat nie viel von diesem Vertrag gehalten. Ein Regimewechsel ist nicht in Sicht, eine Regierungswechsel schon. Für eine ganze Region sind das alles andere als vorteilhafte Aussichten.
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