Dann mach doch!

Erdoğan Die Bundesregierung beschädigt die politische Kultur und sich selbst, wenn sie Provokationen des türkischen Präsidenten nicht mehr als „Besorgnis“ entgegensetzt
Ausgabe 31/2016
Erdoğan-Unterstützer bei der Großdemo Ende Juli in Köln
Erdoğan-Unterstützer bei der Großdemo Ende Juli in Köln

Foto: Sascha Steinbach/Getty Images

Dass dogmatisch Erstarrtes gegenüber dem liberal Geschmeidigen das Nachsehen hat, schien bei den Umbrüchen im Europa der 90er Jahre eine Formel des Erfolgs zu sein. Doch wer lässt sich davon animieren, wenn die Folgen schwer kalkulierbar sind? Die EU sollte es dennoch versuchen.

Es kann für sie in ihrem derzeitigen Zustand kaum etwas fataler sein, als wegen des Junktims Visafreiheit für die Türkei gegen Flüchtlingsdeal mit der Türkei zum Objekt neoosmanischen Hochmuts zu werden. Es bestehen in der Diplomatie Grenzen für rüde Umgangsformen, und es gibt das stille Einvernehmen, davon öffentlich keinen Gebrauch zu machen. Wer mit dieser Norm bricht wie der türkische Präsident, hat entweder die Kontrolle über sich selbst verloren oder hält Provokation für einen Ausweis von Stärke.

So hat Recep Tayyip Erdoğan am Wochenende der Regierung Merkel unverblümt zu verstehen gegeben, er fühle sich als Schirmherr der in Deutschland lebenden Türken, reklamiere als solcher stetes Gastrecht, wünsche dies notfalls per Bildbrücke wahrzunehmen und betrachte es als unfreundlichen Akt, werde ihm das verwehrt. Die Botschaft aus Ankara: Seid euch dessen bewusst, dass meine Gefolgschaft in Deutschland zur fünften Kolonne mutieren und euch noch Ärger machen kann.

Recht gegen Rabaukentum

Wer etwas auf sich hält, setzt bei solcher Zumutung eine Souveränität der Selbstachtung gegen die Absicht zum Affront und Recht gegen Rabaukentum. Das Oberverwaltungsgericht Münster hat in seiner Begründung zum Verbot von Erdoğans Videobotschaft dankenswerterweise genau das getan. Es hieß darin sinngemäß, wollten ausländische Staatschefs im Bundesgebiet Statements abgeben, sei das Außenpolitik, somit „Sache des Bundes“, nicht des Veranstalters einer Kundgebung wie in Köln. Es gibt einen Vorsatz zum Regelverstoß, der förmlich darum bettelt, geahndet zu werden.

Ob Flüchtlingsfrage, Visafreiheit oder EU-Beitritt: Die türkische Führung legt offenkundig keinen gesteigerten Wert darauf, als seriöser Partner wahrgenommen und behandelt zu werden. Dann sollte man ihr den Gefallen auch tun und sie ziehen lassen. Politische Kultur im Umgang zwischen Staaten und Regierungen darf nicht dem Abdecker überlassen werden. Sie könnte noch gebraucht werden.

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Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur „Politik“, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen. Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zum Freitag. Dort arbeitete es von 1996 bis 2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

Lutz Herden

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