Bestenfalls drei Monate hat Christine Lagarde der Eurozone noch gegeben. Dann werde der Euro vollends am Abgrund stehen und sich dem Kollaps auf Tuchfühlung annähern. Die IWF-Direktorin könnte zu großzügig gewesen sein mit der zuerkannten Restlaufzeit, wie die Ereignisse der vergangenen 24 Stunden zeigen. Zypern und Spanien bemühen sich offiziell um Beistand aus dem EU-Krisenfonds. In einem gezielten Rundumschlag bestreitet die US-Rating-Agentur Moody's gleich 28 spanischen Banken die Bonität. Das geschieht trotz der in Aussicht gestellten EU-Hilfen, die offenbar entweder als nicht ausreichend oder nicht ausreichend sicher gelten. Wenn das so ist, dann werden durch die Analysten dieser Kontrollinstanz auch Seriosität und Kreditwürdigkeit der Spanien zu Hilfe eilenden EU-Rettungsgesellschaft in Frage gestellt.
Gerät das, was wir im Moment erleben, zu einem einzigen Misstrauensvotum gegen das von den Eurostaaten zu verantwortende europäische Finanzsystem? Ein resolutes Nein fällt schwer. Wenn Bonität und Zuverlässigkeit der Euro-Rettung bezweifelt werden, ist auch mit deren Krisenresistenz nicht mehr weit her. Es hat den Anschein, als sollte einem gestrandeten, leck geschlagenen Schiff durch die Küstenartillerie der Gnadenschuss zuteil werden. Wer die Salven abfeuert, steht außer Frage. Noch nie seit Ausbruch der so unheilvoll verschränkten Euro- und Finanzkrise ist derart massiv gegen die Gemeinschaftswährung gewettet worden, noch nie standen in diesem Ausmaß systemrelevante Banken in Italien, Irland, Spanien, Frankreich, Portugal und nun auch in Zypern unter Druck, noch nie haben gleich fünf Eurostaaten unter dem Euro-Rettungsschirm Zuflucht suchen müssen. Mit einem Wort, kaum je zuvor erschien vor einem EU-Gipfel der Horizont dermaßen verdüstert wie vor dem Brüsseler Treffen in dieser Woche. Die Frage lautet nicht, wie können Euro und Währungsgemeinschaft jetzt noch gerettet werden, sondern: Können sie überhaupt noch gerettet werden?
Schreibt uns ab!
Wenn die Misere in ein finales Stadium driftet, hat das semiprofessionelle Krisenmanagement von Kernstaaten in der Eurozone, besonders aber der deutschen Exekutive daran hervorragenden Anteil. Letztere scheint noch nicht einmal die eigene Verfassung ausreichend zu kennen, um zu wissen: Der Fiskalpakt sorgt für einen tiefen Eingriff in die Haushaltsrechte der nationalen Parlamente, also auch des Bundestages. Er bricht so möglicherweise oder sehr wahrscheinlich das Grundgesetz. Wenn das so ist, müssen verantwortungsbewusste Politiker das Bundesverfassungsgericht anrufen, nicht aus Freude an politischer Subversion, sondern weil irreversible Entwicklungen in der Luft liegen, die vollendete Tatsachen schaffen, aus denen sich wiederum unumkehrbare Entscheidungen ableiten.
Es ist eine Konsequenz der unzureichenden verfassungsrechtlichen Grundierung ihrer Krisenpolitik, dass Kanzlerin Merkel am 28. Juni mit einem unter Umständen verfassungswidrigen Votum des Bundestages zum Fiskalpakt nach Brüssel reist. Kann es einen besseren Weg geben, um aufgewühlten wie aggressiven Finanzmärkten zu signalisieren: Wenn wir auch ununterbrochen davon reden, die Eurokrise eindämmen zu wollen – wir können es einfach nicht, schreibt uns ab und tut, was ihr aus eurer Sicht für unverzichtbar haltet!
Dabei ist mit diesem Eingeständnis noch absolut nichts über die ökonomische Sinnhaftigkeit einer durch den Fiskalpakt dekretierten Schuldenbremse gesagt. Deren Vorläufer haben ihr konjunkturstrangulierende Wirkung bereits überzeugend nachgewiesen. Man denke an die Auflagen für Großschuldner wie Griechenland, Portugal oder Irland. Diese Staaten sind heute noch weniger in der Lage ihre Schulden zu tilgen als vor zwei Jahren, weil eine schrumpfende Ökonomie auch schrumpfende Staatseinnahmen zur Folge haben.
Und nun plötzlich?
Gekrönt wird diese politische Geisterfahrt durch die jähe Entdeckung der plebiszitären Kraft des Volkes. Plötzlich bringt Finanzminister Schäuble eine per Volksentscheid beschlossene neue Verfassung ins Gespräch, die – wenn es denn gar nicht anders geht – den Weg ebnet zu den Vereinigten Staaten von Europa. Viel Sinn fürs burleske Intermezzo in Zeiten der Not! Jahrzehntelang wurde der europäische Gedanke in Sonntagsreden hofiert, doch seit den Römischen Verträgen von 1957 in der BR Deutschland kein einziges Referendum über irgendeinen der vielen Integrationsakte abgehalten. Weder die Osterweiterung, noch die Währungsunion, geschweige denn die 2004 geplante EU-Verfassung oder der sie ersetzende Vertrag von Lissabon kamen dafür in Frage. Das Europa von oben brauchte keinen Willen von unten. Es galt als zu riskant, das Volk zu befragen, dem womöglich die europäische Reife fehlte, wenn es mitzuentscheiden hatte. Auch waren Referenden schließlich nie zwingend vorgeschrieben.
Und nun plötzlich? Jetzt über eine neue Verfassung und das dazu nötige Referendum zu reden, ist der beste Weg, beides zu verhindern. Der Leumund des vereinten Europas und der Euros ist derzeit einfach viel zu schlecht, um in Deutschland noch Mehrheiten erobern zu können. Die Bundesregierung hat sich um diese Stimmungslage ganz besonders verdient gemacht.
Kommentare 5
Lieber Lutz Herden, besten Dank für Ihren Beitrag! Die Idee einer Volksabstimmung liegt offenbar in der Luft. Auf eine neue Verfassung zu vertrösten, wie dies nun Finanzminister Schäuble tut, ist vermutlich der Versuch, die Bürgerinnen und Bürger noch weiter hinzuhalten, bis durch den Fiskalpakt und andere obrigkeitsstaatliche Massnahmen unumkehrbare Fakten geschaffen worden sind. Jetzt sollte dem Vorschlag von Sahra Wagenknecht und der LINKEN gefolgt und es müssten so schnell wie möglich Voraussetzungen für eine Volksabstimmung auf Bundesebene geschaffen werden, um ein Votum des Volkes zum Abbau grundlegender demokratischer Rechte durch den Fiskalpakt zu ermöglichen! Bemerkenswerterweise äussert sogar die Neue Zürcher Zeitung einige Sympathie für diesen Gedanken - obwohl er von Wagenknecht, diesem "ganz linke(n) Paradepferd der Linken", kommt, wie der Deutschland-Korrespondent der Zeitung, Ulrich Schmid, in der heutigen Ausgabe der NZZ schreibt.
Zwei Dinge:
Erstens habe ich die aktullen Abwertungen aus Sicht der Agenturen so begründet verstanden: Spanien schlüpft unter den Schirm, um seine Banken zu retten, ergo haben diese Banken keine Bonität. Im Grunde haben die Agenturen also reagiert und werten nicht die Rettungsmaßnahmen ab, sondern sehen die Rettungsmaßnahmen als Indikator, die eine Abstufung rechtfertigen. Wer Spenden bracht ist kein guter Schuldner. Das ist völlig plausibel. Zweitens: Der einzige Grund für Schäubles Philosophieren über ein Plebiszit ist, dass Karlsruhe nach allem, was Recht ist, die Regierung in die Schranken weisen MUSS. Das letzte Urteil des Bundesverfassungsgerichtes zu einem europöischen Vertrag, den von Lissabon, hat eindeutig gesagt: bis hierhin und nicht weiter. Wenn die Integartion weiter gehen soll, dann braucht die Bundesrepublik eine neue Verfassung und die muss vom Volk genehmigt werden, so inopportun es auch sein mag. Ich bete zu Justitia, dass sich die Karlruher richtiger nicht manipulieren lassen, anderenfalls wäre vielleicht unsere Währung kurzfristig in Schutz vor den Bankstern aus London und NY, unsere Demokratie wäre mit dem durch nichts legitimierten, übermächtigen ESM jedoch völlig verloren.
Beste Grüße zurück aus Berlin
Ich kann mir Europa als Transferunion (Bayern und Bremen leben auch so) wie in einem Nationalstaat im Prinzip schon vorstellen, ich könnte auch dafür stimmen – aber ich bin sicher, dass meine Stimme auf der Verliererseite steht. Ich bezweifle auch, dass man die Ja-oder-nein-Frage so einfach und doch umfassend formulieren kann, dass sie volksabstimmungsfähig ist. Es kann eine Richtungsfrage sein – seid ihr dafür? – die dann doch wieder so viel frei lässt, dass anschließend weiterdiskutiert werden kann. Also: Abstimmung über Geld geht eigentlich nicht. Bsp: Soll jeder 1000 Euro kriegen? (ich bin gegen Herdprämie, aber zur Not nehme ich es eben mit). Und falls es doch ein Gremium hinbekommen sollte, die Euro-Problematik auf eine Ja-oder-nein-Frage zu reduzieren, dann sollte dieses Gremium auch das Problem lösen können.
Die Volksabstimmung würde ja einer neuen Verfassung als solcher gelten müssen.
Vielleicht klappt es in Deutschland auch, vielleicht auch nicht. Erfahrung mit Plebisziten zu Europa sind ja nicht nur mangelhaft, sondern einfach nicht existent.
Nicht einmal die sog. Wiedervereinigung war es wert, die Wiedervereinigten nach Artikel 146 GG über eine neue Verfassung für Gesamtdeutschland abstimmen zu lassen. Dabei wurden die ostdeutschen Bürgerrechtler doch nach außen hin im Westen so ungeheuer geschätzt, und ein Verfassungspapier hatten sie am Runden Tisch auch verabschiedet, aber dieser demokratische Impuls war wohl für westdeutsche Verhältnisse zu impulsiv. Deshalb wundert die Chuzpe schon, mit der Wolfgang Schäuble ausgerechnet das sieche Europa dem Volkswillen anheim stellen will.