Das deutsche Ausscheiden: Der ultimative Affront gegen die WM im Wüstenstaat
Meinung Das Fragwürdige, zutiefst Abstoßende dieser Fußball-WM in Katar wird durch den Umstand offenbar, dass sie trotz des deutschen Ausscheidens weitergeht. Aber das war zu erwarten, die Kritiker dürfen sich bestätigt fühlen
Das deutsche Team verlässt das Camp in Al Shamal und tritt die Heimreise an
Foto: Ina Fassbender/AFP/Getty Images
Was müssen sie sich erlöst fühlen – die deutsche Mannschaft, die DFB-Spitze, eine gernegroße Fußball-Nation. Sie können dieser WM endlich den Rücken kehren. Im Spanien-Spiel wurde die Chance noch vertan. Jetzt aber kann Deutschland aufatmen und sich befreit fühlen.
Da ist er: der ultimative Affront gegen dieses Championat im autoritären Wüstenstaat. Da können die Scheichs barmen, soviel sie wollen, davon wird nichts zurückgenommen. Abflug und weg. Fehlte es bisherigen Widerstandsaktionen an der allerletzten Durchschlagskraft – Innenministerin Faeser saß beim Japan-Spiel stundenlang mit pikiertem Gesicht und „One Love“-Binde neben FIFA-Präsident Infantino, ohne den aus seiner aufgeräumten Stimm
mten Stimmung zu locken und auf Nimmerwiedersehen aus dem Stadion zu treiben –, so ist diese Schlagkraft nunmehr erreicht. Wurde schon 2018 durch konsequente Leistungsverweigerung in der Vorrunde Gastgeber Russland düpiert, dass ihm Hören und Sehen verging, ist dieses Erfolgsrezept mittlerweile so verfeinert, dass es besser greift und erst recht überzeugt.Fast alles gegebenDas Fragwürdige, Verwerfliche, ja, zutiefst Abstoßende dieser Titelkämpfe wird durch den Umstand offenbar, dass sie trotz des deutschen Ausstiegs weitergehen. Wer will, kann sich weiter von der taktischen Intelligenz und dem Kombinationsfluss der Franzosen faszinieren lassen, von großartigen, technisch versierten Brasilianern, von so sympathischen und spielfreudigen Fußballern wie Pablo Martín Páez Gavira („Gavi“) oder Pedro González López („Pedri), von der ungestümen Leidenschaft über sich selbst hinauswachsender Mannschaften wie Australien oder Japan – aber wer will das schon? Wer will nicht viel lieber in Vorfreude schwelgen, dass im Januar wieder Rumpel-Fußball in der Bundesliga fällig ist? Dann sind Müller, Süle, Kimmich und Schlotterbeck in ihrem Element und der Zwangsjacke Nationaltrikot glücklich entronnen.Keine Frage, die deutsche Mannschaft hat in Katar vieles von dem gegeben, was sie drauf hat. Besonders beeindruckend gelang das beim Spiel gegen Japan, als sich die Spieler vor dem Anstoß den Mund zuhielten. Eine Geste, bei der es den einen winzigen choreografischen Schönheitsfehler gab. Offenbar waren die Hände im Eifer des Gefechts mit der katarischen Despotie nach unten verrutscht.Eigentlich wollte man sich die Augen zuhalten, weil nicht zum Ansehen war, was nach dieser Mutprobe auf dem Rasen passierte. Aber das war eben Teil des Raffinements, mit der diese WM subversiv unterwandert wurde. Zunächst erklärte man sich in der üblichen Selbstüberschätzung – damit niemand überrascht war – zum Titelfavoriten, um darüber hinwegzutäuschen, dass sich in Wirklichkeit ein Fußballzwerg austoben wollte und das wahrlich perfekt. Leider weiß derzeit niemand, ob und wie dieses Niveau gehalten, womöglich gar übertroffen werden kann.Vorerst keimt zarte Hoffnung, dass die Mannschaft bleibt, wie sie ist, und auch der Trainer bleibt, wenn er schon mal da ist – „man darf ihn jetzt nicht übers Knie brechen“, wie das einmal Ex-Nationaltrainer Rudi Völler so unnachahmlich und so zutreffend formulierte. Als Motto für die Zukunft der Equipe bietet sich an: Das Schiff hat Schlagseite, es lässt sich nur wieder aufrichten, wenn alle auf dieselbe Seite gehen. Die OberaufseherDoch im Ernst, man kann es nur als höhere Gerechtigkeit empfinden, dass und wie Deutschland bei dieser WM untergegangen ist, die in überheblicher Weise schlecht geredet und diskreditiert wurde. Ein notorischer Spielverderber wird zum Spielverlierer. Die Spieler sind nicht davon freizusprechen, dass sie sich vom deutschen Oberaufsehertum, an dem die Welt genesen soll, instrumentalisieren ließen. Sie haben den Status und die Autorität, dem Grenzen zu setzen, nicht zuletzt Manuel Neuer.Der französische Kapitän Hugo Lloris hat noch vor der WM-Eröffnung wissen lassen, dass er keine „One Love“-Binde tragen wolle. Auch in Frankreich werde schließlich erwartet, dass ausländische Besucher die lokalen Regeln respektierten.Im Übrigen steht es ausdrücklich in den FIFA-Statuten, dass bei „Finalwettbewerben“ wie diesen jeder Mannschaftskapitän eine vom Weltfußballverband gestellte Armbinde tragen muss. Die FIFA verspürt vermutlich wenig Lust, gegen ihr eigenes Reglement zu verstoßen. Auch Leute wie DFB-Präsident Bernd Neuendorf müssten das wissen, statt sich daran abzuarbeiten, den Veranstalter vorführen zu wollen. Wie wäre es, sich stattdessen um eine Nationalauswahl zu kümmern, die diesen Namen verdient? Im Moment stehen einer DFB-Elf bis auf Jamal Musiala keine Fußballer mehr zur Verfügung, die man guten Gewissens auswählen kann, um in der Nationalmannschaft mehr als Durchschnitt zu sein. Es sind eben manchmal ganz einfache Fragen der Qualität, die den Ausschlag geben, bei Funktionären, Trainern und vor allem den Spielern.
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