Das Ende der Berlin-Blockade

Merkels Mantra In einer vierten Amtszeit der Kanzlerin könnte der deutsche Euro-Nationalismus an Grenzen stoßen
Ausgabe 08/2018
Folgt Merkel Macron in Richtung „Neugründung Europas“?
Folgt Merkel Macron in Richtung „Neugründung Europas“?

Foto: Emmanuel Dunand/AFP/Getty Images

Für Deutschland war die Eurokrise Gefahren- und Glücksfall zugleich. Als die Einheitswährung im Frühjahr 2010 ins Schlingern kam, intonierte Kanzlerin Merkel: Scheitert der Euro, dann scheitert Europa. Das klang alarmistisch genug, um zu überdecken, was tatsächlich bedroht war – eine deutsche Exportaggressivität, der ein Markt ohne schwankende Wechselkurse das Paradies auf Erden bot. Folglich musste ein Euro-Krisenmanagement dafür sorgen, dass es so blieb. Den Euro zu retten, hieß demnach aus deutscher Sicht, die Eurozone dem deutschen Stabilitätsdogma zu unterwerfen. Wie US-Präsident Bush nach 9/11 versucht hatte, die Terrorgefahr auszuschlachten, um die Verbündeten für seine imperialen Obsessionen zu vereinnahmen, nutzte Angela Merkel eine denkbare Implosion der Währungsunion, um den Euroländern ihre Austeritätspolitik aufzunötigen. Und durfte sich dazu legitimiert fühlen.

Deutschland über alles ...

Bereits 2009 erkläre das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil zum Lissabon-Vertrag, die Rechte des deutschen Nationalstaates blieben von derartigen Abkommen unberührt. Dieses Souveränitätsverständnis ließ sich erst recht im Umgang mit der Eurokrise reklamieren und an einen Kurs binden, der den Krisenstaaten nur noch begrenzte Souveränität zugestand, sobald sie auf Finanzhilfen angewiesen waren. Je energischer sich Deutschland dabei durchsetzte, desto mehr kam das seiner ökonomischen Prosperität zugute. Europa führen, hieß in eigener Sache handeln.

Unversehens trat ein selbstbezüglicher Nationalstaat in Erscheinung. Den europäischen Partnern, die nach 1945 nicht zuletzt deshalb als überzeugte Europäer auftraten, weil sie dadurch die „deutsche Frage“ gelöst glaubten, wurde bedeutet, dass Deutschland die sich mit dem Euro stellende „europäische Frage“ lösen werde, wie es das für angemessen halte.

Es fand sich ins Gegenteil verkehrt, was Anfang der 1990er Jahre mit der Gemeinschaftswährung politisch beabsichtigt war. Durch den Verzicht auf das Erfolgsprojekt D-Mark sollte Einheitsdeutschland in einem Maße europäisiert werden, dass Dominanz oder gar Hegemonie entfielen. Die Macht in der Mitte sollte weder Schirmherr noch Prinzipal eines Europäischen Hauses, sondern Gleicher unter Gleichen sein. Eine Europäische Währungsunion (EWU) schien die Gewähr dafür.

Weit gefehlt. Als dieser Verbund an Statik verlor, erwachte der Prinzipal als Stabilitätsriese und warf einen langen Schatten. Die Theorie vom emanzipatorischen Europa zerschellte an der Praxis des egomanischen Euro, der als das wirkte, was er war: ein Gradmesser für das Leistungsvermögen von Volkswirtschaften. Mit ihm ließ sich das Wirtschaftsgefälle in der Eurozone nicht mehr durch die Kurse nationaler Währungen ausgleichen. Die Defizite bei den Handels- wie Leistungsbilanzen wuchsen, während die Einnahmen für Staatshaushalte schrumpften, was u. a. durch die Emission von Staatsanleihen bzw. Schuldentiteln kompensiert wurde.

Bei Verschuldungsquoten der Euroländer Belgien, Italien, Irland, Portugal und Spanien, die Anfang 2010 über oder annähernd bei 100 Prozent der Jahreswirtschaftsleistung lagen, war mit Kettenreaktionen auf den Finanzmärkten zu rechnen. Also musste das Exempel statuiert und Griechenland mit Gesamtschulden von 160 Prozent des Bruttoinlandsprodukts aufgefangen werden. Deutschland besaß ein existenzielles Interesse, dies zu tun, und die Macht, Konditionen festzuschreiben, unter denen dies geschah. Mit Nachdruck wurde das Beistandsverbot (No-Bail-out) durchgesetzt, wonach weder die Währungsgemeinschaft noch einzelne Eurostaaten für die Schulden eines anderen aufkommen durften. BeiRettungsschirmen wie der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF) und dem Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) wurde verankert, dass diese Kapitalfonds keine Haftungs- und Transfereinrichtungen sein durften. Kreditbürgschaften bekam nur, wer als Krisenstaat soziale Leistungsversprechen (bei Renten, Gehältern, öffentlichen Ausgaben) brach. Eine fatale Konsequenz dieser Nötigung bestanddarin, dass der europäische Sozialstaat unter Schuldenvorbehalt gestellt wurde, woran sich auf absehbare Zeit nichts ändern dürfte.

... oder Égalité, Fraternité?

So weit die Geschichte der Eurotherapie, wie sie von einem deutschen Euro-Nationalismus geschrieben wurde. Den hat Emmanuel Macron bei seiner Sorbonne-Rede Ende September 2017 mit keiner Kampfansage, sehr wohl aber mit alternativen Vorstellungen konfrontiert. Sie gehen zwei Fragen nach: Gibt es Optionen, den Euro dauerhaft zu stabilisieren, indem neue Institutionen und Regelungsmechanismen eingeführt werden, ohne dass die Währungsunion zum Bundesstaat wird? Kann durch ein solches Vorgehen die Nullzinspolitik der EZB beendet werden, die einen geldpolitischen Ausnahmezustand heraufbeschwört und Millionen Privathaushalte in der Eurozone durch Zinsentzug dafür aufkommen lässt, dass es den Euro weiterhin gibt?

Manche der institutionellen Reformen, die Macron vorschweben, können zu Instrumenten führen, die mehr demokratische Willensbildung in der Eurozone auslösen, ohne dass die zum föderativen Gesamtstaat wird. Es wäre eine neue europäische Souveränität denkbar, die dafür entschädigt, was etliche Euroländer seit 2010 an Selbstbestimmung eingebüßt haben. Und es wäre einer multilateralen Rationalität Genüge getan, die französischer Europapolitik stets eigen war, wenn sie nicht gaullistisch ausfiel. So mahnte schon 1988 der Franzose Jacques Delors als EU-Kommissionspräsident, dass einem gemeinsamen Währungsraum eine Wirtschaftsunion vorangehen müsse. Die heutige IWF-Direktorin Christine Lagarde favorisierte als Wirtschafts- und Finanzministerin von Präsident Sarkozy mehrfach die Idee einer europäischen Wirtschaftsregierung, mindestens eines solchen Wirtschaftsministers. Als der Sozialist François Hollande 2012 die Präsidentschaft übernahm, versuchte er die Regierung Merkel für eine europäische Investitionsinitiative zu gewinnen, auf dass angeschlagene Eurostaaten Wachstum generieren und Schulden zurückzahlen konnten. In Berlin hielt man wenig davon.

Delors, Lagarde oder Hollande dürften wie Macron davon überzeugt gewesen sein, dass in einer Makroökonomie wie der EU, im Besonderen aber der EWU, nicht jeder seine Haushalts- und Steuerpolitik betreiben, nur für seine Banken, seine Investitionen und Schulden zuständig sein kann – dies will kollektiv verantwortet sein. Und dass es sich verbietet, die Nöte anderer durch das Gelübde innenpolitisch auszukosten, Deutschland werde nicht für Geldverschwendung und Misswirtschaft von Megaschuldnern wie Griechenland und anderen aufkommen.

Letzten Endes jedoch sollte sich aller Reformeifer Macrons und seiner Anhänger darauf einstellen, dass der Euro sein Existenzrecht früher oder später verwirkt hat, wenn er mächtige Wirtschaftsnationen weiter in die Lage versetzt, die schwächeren, weniger leistungsfähigen zu disziplinieren. Denn Merkels Mantra gilt umgekehrt genauso: Scheitert Europa an einem menschenverachtenden ökonomischen Kalkül, verliert auch der Euro jeden Halt.

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