Keine internationale Konferenz, kein UN-Gipfel auf dem Bonner Petersberg, kein feierliches Zeremoniell – nichts vom erwartbaren Repertoire ist im Angebot. Stattdessen signieren Emissäre der USA und der Taliban in Doha (Katar) fast beiläufig ein Abkommen, das Frieden verspricht, aber keinen generellen Gewaltverzicht einschließt.
Wer hätte je geglaubt, dass der Krieg in Afghanistan so zu Ende gehen kann? Die Taliban sind nicht geschlagen, müssen nicht kapitulieren, sie sind nicht Juniorpartner eines Deals, den sie zu schlucken haben, sondern Verhandlungspartner. Vielmehr steht das Stigma der Zweitklassigkeit der afghanischen Regierung ins Gesicht geschrieben. Die blieb in Doha ausgeschlossen, weil die Taliban das so wollten und die USA nichts dagegen hatten. Plötzlich sind die Gotteskrieger keine monströsen Killer mehr, sondern als ordnende Macht gefragt. Sie sollen laut Doha-Vertrag garantieren, dass Al-Qaida- und IS-Filialen am Hindukusch ausgesorgt haben. Was heißt das? Muslimische Kombattanten bringen muslimische Kombattanten zur Räson? Soll eine Regierungspartei in spe den Beweis antreten, dass sie Terror einzudämmen versteht, dem sie bis gestern noch zugetan war?
Am 7. Oktober 2001 griff die US-Armee Kabul mit der Begründung an, die Macht der Taliban und deren Kalifat müssten zerstört werden. In Afghanistan sei Osama bin Laden eine große Nummer, dort unterhalte Al Qaida Ausbildungscamps, aus denen sich die Attentäter von 9/11 rekrutiert hätten, deshalb müssten die Taliban als „Macht des Bösen“ bestraft und besiegt werden. Der ganze Westen sei gefordert. Und der wollte gefordert sein, in „uneingeschränkter Solidarität“ (SPD-Kanzler Schröder).
Es galt als ausgemacht, ein islamisch normierter Machtanspruch in Afghanistan ist als internationale Bedrohung einzustufen und durch internationale Besatzung zu beantworten. Afghanistan wurde zum Referenzprojekt westlicher Ordnungspolitik in nicht westlichen Gesellschaften. Wer dies als hybride Anmaßung kritisierte, galt als politisch weder zurechnungs- noch salonfähig, was hierzulande in etwa das Gleiche ist.
Wollte man verantworten, dass afghanische Mädchen nicht mehr zur Schule durften, afghanische Frauen patriarchaler Willkür anheimfielen, Soldaten des internationalen ISAF-Kontingents keine Brunnen mehr bohrten, ein autoritärer Gottesstaat auferstehe, islamistische Gewalt sich ausbreite, und das weltweit?
Und jetzt, nach fast zwei Jahrzehnten Krieg, ist plötzlich alles anders? Es passt zu diesem obskuren Sinneswandel, dass dem Vertragsschluss in Doha keine konzertierte Aktion des Westens, sondern der Alleingang eines US-Präsidenten zugrunde liegt. Donald Trump gesteht mitnichten den fatalen Irrtum (oder Selbstbetrug) ein, dass eine Kriegspartei in Afghanistan glaubte, sie könne westliche Werte durchsetzen, indem sie diese durch ihre Kriegsführung permanent verletzte.
Dieser US-Präsident will am 3. November wiedergewählt werden. Da kann der in Doha in Aussicht genommene Truppenabzug nur hilfreich sein. Einen verlorenen Krieg aufarbeiten will er nicht. Die Frage würde stören, wofür denn nun 3.476 ausländische Soldaten, zumeist aus NATO-Staaten, gefallen sind, darunter mehr als 1.800 US-Militärs. Von etwa 100.000 getöteten afghanischen Zivilisten ganz zu schweigen. Doch es hilft nichts. Eine denkbare Machtbeteiligung der Taliban wird unweigerlich eine Antwort sein.
Kommentare 7
das ende vom leid?
afghanische entwicklung in die hände der taliban abgegeben?
nach 20 jahren krieg?
(da ist dem beobachter aus der ferne wohl einiges entgangen!)
da hat sich wohl ein notorischer deal-maker,
mit einer seiner berüchtigten unterschriften, von einem fruchtlosen investment
getrennt/davon-geschlichen,
die finanziellen macht-mittel andernorts gewinn-bringender zu platzieren.
wer erinnert sich noch an nixons groß-tat,
den vietnam-krieg zu vietnamisieren?
Danny Sjursen hat auf Truthdig viele Artikel zum Thema Afghanistan auch aus seiner Perspektive als ehemaliger Kommandeur eines Bataillons im dortigen Krieg geschrieben. Der bisher letzte (Happy Afghanistan Surrender Day) beschäftigt sich mit dem trumpschen "Deal". Darin zitiert er auch Adam Wunische vom Quincy Institute: "Präsident Trump wird den Deal zwischen den USA und den Taliban wahrscheinlich als Friedensabkommen und als Rückzug des US-Militärs verkaufen. Es ist keines von beiden. Das Abkommen reduziert die Truppenstärke von 13.000 [vorerst] nur auf 8.600, und Trump hat gesagt, dass selbst kleinere Komplikationen als Rechtfertigung dafür dienen werden, diese Reduzierung zu stoppen oder rückgängig zu machen."
Selbst fügt Sjursen hinzu: "Darüber hinaus ist es angesichts der sprachlichen Gymnastik, die Barack Obama perfektioniert hat, was genau "Kampf"-Truppen ausmacht - oder sogar das, was als "Boots" oder als "Ground" zählt - heutzutage immer schwieriger, vieles von dem zu glauben, was sein Nachfolger oder der nationale Sicherheitsstaat im Allgemeinen ausspricht."
Ein schönes Beispiel, wie die USA dort Krieg gespielt haben, beschreibt er in seinem Artikel "Potemkin Patrols: Performing the (Afghan) War". Hier ein kurzer Auszug: "...Schlimmer noch, ältere Oberste und vor allem alle Generäle wollen sich während der Tour einem jungen Hauptmann und seinen Boden-Kampftruppen auf einer "authentischen" "Kampf"-Patrouille anschließen. Auf diese Weise, so sagen sie zumindest, können die hohen Offiziere die "Situation" auf dem Schlachtfeld sehen und die niederrangigen Soldaten, die sich täglich auf diesem gefährlichen Terrain abmühen, aufmuntern. Insgeheim dienen solche Patrouillen natürlich hauptsächlich dazu, die Egos zu stärken und das amtsgeplagte Gewissen der Generäle selbst zu beruhigen. Und, nicht ganz so geheim, echte Kampfsoldaten scheren sich einen Dreck darum, die Generäle zu sehen, und finden die ganze Scharade kaum mehr als eine unnötiges auf die Nervengehen...
Nach ein paar solcher Albträume dauerte es nicht lange, bis ich lernte, "das Spiel zu spielen", um meinen unmittelbaren Chef (der jeden besuchenden General wahrhaftig verehrte) zu besänftigen und meine Soldaten trotzdem so sicher wie möglich zu behalten. Als der geekige Historiker, der ich war und bin, dachte ich über die Potemkinischen Dörfer nach...
Zwei Monate lang habe ich also meinen größten Trick von allen abgezogen: die mit Sternen übersäten Besucher zu erfreuen, während ich sie täuschte, und obendrein ein paar meiner Soldaten rettete. Es war ein komplizierter, wenn auch theoretisch einfacher Trick. Mit der Hilfe (etwas) freundlicher Stammesältester und meiner untergeordneten Komplizen, den Leutnants, würde ich präventiv und vorübergehend einen kleinen Platz in der Nähe des fraglichen Dorfes sichern, ihn mit glücklichen Afghanen füllen, die nicht wirklich in den verlassenen Höllenlöchern leben, und eine sichere, bombengeräumte Route für die erwartete Kampfpatrouille des Generals 'für den Tourismus' ausarbeiten. Die geistlosen Flaggenoffiziere waren absolut begeistert. Sie schüttelten glücklichen Afghanen die Hand, trafen zufällig auf meine charismatischeren jungen Soldaten und wurden Zeuge eines blühenden Dorflebens, das direkt aus einer malerischen zentralasiatischen Norman-Rockwell-Szene stammt." (Übersetzt mit www.DeepL.com/Translator)
Von Lyndon B. Johnsen – Richard Nixon ( Kriegslügner ) … bis zum Drohenkönig, während der Präsidentschaft von Barack Obama wurden Tötungen per Drohne zur Staatsdoktrin zu George W. Bush ( Irak Kriegslügner ) - und US-Präsident Trump – Stichwort: Iran-Politik o. jetzt Afghanistan Er ( Trump ) habe ein "sehr gutes Gespräch" mit dem Taliban-Anführer geführt … sollte erahnen wie es aus geht! Wir, die Super Macht destabilisieren ohne Sinn und Verstand, verlassen uns auf Gott und wenns schief geht - hautsache wir werden verschont, was kümmert uns fremdes Leid! "Das Ende vom Lied" !!! Das nennt man dann Außenpolitik einer “Führungsmacht“? Kontinuierliches Lügen und Täuschen der Menschen – schäbig!
Richtig guter Beitrag! Da musste ich gleich an "War Machine" denken ;)
»…in „uneingeschränkter Solidarität“ (SPD-Kanzler Schröder).«
Gerhard Schröder bediente sich am 16. November 2001 gar der Vertrauensfrage, damit möglichst alle Abgeordneten der rot-grünen Koalition im Deutschen Bundestag für einen Bundeswehreinsatz in Afghanistan stimmten.
„Die heutige Entscheidung über die Bereitstellung von Bundeswehreinsätzen im Kampf gegen den Terrorismus stellt sicher eine Zäsur dar. Erstmals zwingt uns die internationale Situation, zwingt uns die Kriegserklärung durch den Terrorismus dazu, Bundeswehreinheiten für einen Kampfeinsatz außerhalb des NATO-Vertragsgebietes bereitzustellen.“
Ergebnis: Mit Ja haben 336 gestimmt, mit Nein 326, Enthaltungen: keine.
Das nenne ich den Tag vor dem Abend gelobt. Heute war schon die Ankündigung zu lesen, dass die Amerikaner ihre Truppen erst abziehen, wenn die Gewalt im Land beendet ist. Warten auf St. Nimmermehr.