Das Ende vom Lied

USA/Taliban Wer hätte geglaubt, dass der Krieg in Afghanistan so beiläufig zu Ende geht?
Ausgabe 10/2020
Mullah Abdul Salam Zaeef, einer der führenden Köpfe der afghanischen Taliban, bei einer Pressekonferenz kurz nach Unterzeichnung des Friedensvertrags mit den USA in Doha
Mullah Abdul Salam Zaeef, einer der führenden Köpfe der afghanischen Taliban, bei einer Pressekonferenz kurz nach Unterzeichnung des Friedensvertrags mit den USA in Doha

Foto: Guiseppe Cacae/AFP/Getty Images

Keine internationale Konferenz, kein UN-Gipfel auf dem Bonner Petersberg, kein feierliches Zeremoniell – nichts vom erwartbaren Repertoire ist im Angebot. Stattdessen signieren Emissäre der USA und der Taliban in Doha (Katar) fast beiläufig ein Abkommen, das Frieden verspricht, aber keinen generellen Gewaltverzicht einschließt.

Wer hätte je geglaubt, dass der Krieg in Afghanistan so zu Ende gehen kann? Die Taliban sind nicht geschlagen, müssen nicht kapitulieren, sie sind nicht Juniorpartner eines Deals, den sie zu schlucken haben, sondern Verhandlungspartner. Vielmehr steht das Stigma der Zweitklassigkeit der afghanischen Regierung ins Gesicht geschrieben. Die blieb in Doha ausgeschlossen, weil die Taliban das so wollten und die USA nichts dagegen hatten. Plötzlich sind die Gotteskrieger keine monströsen Killer mehr, sondern als ordnende Macht gefragt. Sie sollen laut Doha-Vertrag garantieren, dass Al-Qaida- und IS-Filialen am Hindukusch ausgesorgt haben. Was heißt das? Muslimische Kombattanten bringen muslimische Kombattanten zur Räson? Soll eine Regierungspartei in spe den Beweis antreten, dass sie Terror einzudämmen versteht, dem sie bis gestern noch zugetan war?

Am 7. Oktober 2001 griff die US-Armee Kabul mit der Begründung an, die Macht der Taliban und deren Kalifat müssten zerstört werden. In Afghanistan sei Osama bin Laden eine große Nummer, dort unterhalte Al Qaida Ausbildungscamps, aus denen sich die Attentäter von 9/11 rekrutiert hätten, deshalb müssten die Taliban als „Macht des Bösen“ bestraft und besiegt werden. Der ganze Westen sei gefordert. Und der wollte gefordert sein, in „uneingeschränkter Solidarität“ (SPD-Kanzler Schröder).

Es galt als ausgemacht, ein islamisch normierter Machtanspruch in Afghanistan ist als internationale Bedrohung einzustufen und durch internationale Besatzung zu beantworten. Afghanistan wurde zum Referenzprojekt westlicher Ordnungspolitik in nicht westlichen Gesellschaften. Wer dies als hybride Anmaßung kritisierte, galt als politisch weder zurechnungs- noch salonfähig, was hierzulande in etwa das Gleiche ist.

Wollte man verantworten, dass afghanische Mädchen nicht mehr zur Schule durften, afghanische Frauen patriarchaler Willkür anheimfielen, Soldaten des internationalen ISAF-Kontingents keine Brunnen mehr bohrten, ein autoritärer Gottesstaat auferstehe, islamistische Gewalt sich ausbreite, und das weltweit?

Und jetzt, nach fast zwei Jahrzehnten Krieg, ist plötzlich alles anders? Es passt zu diesem obskuren Sinneswandel, dass dem Vertragsschluss in Doha keine konzertierte Aktion des Westens, sondern der Alleingang eines US-Präsidenten zugrunde liegt. Donald Trump gesteht mitnichten den fatalen Irrtum (oder Selbstbetrug) ein, dass eine Kriegspartei in Afghanistan glaubte, sie könne westliche Werte durchsetzen, indem sie diese durch ihre Kriegsführung permanent verletzte.

Dieser US-Präsident will am 3. November wiedergewählt werden. Da kann der in Doha in Aussicht genommene Truppenabzug nur hilfreich sein. Einen verlorenen Krieg aufarbeiten will er nicht. Die Frage würde stören, wofür denn nun 3.476 ausländische Soldaten, zumeist aus NATO-Staaten, gefallen sind, darunter mehr als 1.800 US-Militärs. Von etwa 100.000 getöteten afghanischen Zivilisten ganz zu schweigen. Doch es hilft nichts. Eine denkbare Machtbeteiligung der Taliban wird unweigerlich eine Antwort sein.

Nur für kurze Zeit!

12 Monate lesen, nur 9 bezahlen

Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur „Politik“, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen. Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zum Freitag. Dort arbeitete es von 1996 bis 2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

Lutz Herden

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden