Das ging schnell

Anschlag Die türkische Führung hat den Attentäter von Istanbul mit beeindruckendem Tempo benannt. Die deutsche Regierung ist gewillt, der präsentierten Version zu glauben
Der deutsche Innenminister lässt sich von Premier Davutoğlu ins Bild setzen
Der deutsche Innenminister lässt sich von Premier Davutoğlu ins Bild setzen

Foto: Bülent Kilic / AFP - Getty Images

Sie fallen auf, die verhaltenen Reaktionen in Berlin zu den Toten von Istanbul. Das Ganze steht in einem gewissen Kontrast zum Tanz auf dem Hochseil der Aufgeregtheit nach den Silvester-Randalen in Köln und anderswo. Dafür bieten sich zwei Erklärungen an. Zunächst einmal könnte man es mit Konsequenzen – genauer: der Kehrseite – des deutschen Parts im Anti-Terror-Krieg zu tun haben.

Debatte überflüssig

Wäre freilich von deutschen (Kriegs-)Opfern die Rede, würde das den deutschen Tornado-Einsatz über Syrien viel des bisher gleichgültigen Zuspruchs kosten. Oft wurde vor den Risiken eines Einstieg in diesen Bürgerkrieg gewarnt, doch konnte es damit nicht schnell genug gehen.

Die großkoalitionäre Übermacht im Bundestag wollte die Tornado-Aufklärer ohne viel Federlesen in die Türkei schicken. Abwägende Debatten über ein riskantes, von den Erfolgsaussichten her umstrittenes Engagement galten als retardierendes Moment, als störend und unsolidarisch, nachdem sich Frankreich mit der Autorität seines Präsidenten für im Krieg befindlich erklärt hatte. Das Votum für die Tornado-Mission galt als alternativlos und hätte es doch verdient, jenseits eines fiebrigen Aktionismus genauer und verantwortungsbewusster erörtert zu werden. Es gibt dafür kein UN-Mandat. Die syrische Regierung zu fragen, hielt man ebenfalls für überflüssig. Deren Staatsgebiet wurde mehr oder weniger für vogelfrei erklärt. Von allen situativen Momenten abgesehen, sind damit immer auch Präzedenzfälle geschaffen, die geltendes Völkerrecht noch stärker aushebeln, als das ohnehin seit Jahren geschieht.

Der zweite Grund für das verhaltene Echo in Berlin dürfte mit der rasanten Geschwindigkeit zu tun haben, mit der die türkische Führung in voller Sollstärke Stunden nach der Tat ihre Version über die Täter verkündete: ein syrischer Attentäter namens Nabil Fadli, der im Auftrag des Islamischen Staates (IS) handelte.

Gratwanderung für Berlin

Präsident Erdogan hielt dazu eine Fernsehansprache. Premier Davutoğlu hatte gleich mehrere öffentliche Auftritte, um zu erklären, wer schuld sei. Innenminister Efkan Ala kam ebenfalls auf eine beachtliche mediale Präsenz. Die Bundesregierung in Berlin nötigt das zur Gratwanderung. Würde sie sich von der offiziellen türkischen Lesart allzu sehr vereinnahmen lassen, müssten die Anschlagsopfer mit mehr Empathie bedacht werden, wie es sich für Opfer im Anti-Terrorkrieg, zumal solche des IS, gehört. Daraus ergäbe sich als Mutmaßung oder Schlussfolgerung: Es wurden eben doch gezielt deutsche Staatsbürger getötet. Doch scheint es wenig opportun, Erdogan und Davutoğlu mit Misstrauen, wenigstens aber Skepsis, zu begegnen und das öffentlich. Sie sind schließlich die Herren der Flüchtlingsregulierung und könnten Kritiker dadurch abstrafen, dass sie getroffene Absprachen mit der EU oder auch mit Kanzlerin Merkel aussetzen.

Vielleicht ein Kurde

Ungeachtet dessen liegt die Frage in der Luft: Wenn es so prompte Ermittlungserfolge gibt, der Täter feststeht, die Fakten vorzüglich passen, hat es dann nicht im Vorfeld des Verbrechens Erkenntnisse gegeben, die zu mehr Prävention hätten führen müssen? Zum Beispiel im Umfeld der Blauen Moschee, wo es stets viele Touristen gibt. Oder waren es vielleicht keine IS-Täter? Sprengte sich ein verzweifelter Kurde in die Luft, der Angehörige bei den Strafaktionen der türkischen Armee gegen Wohnviertel im Südosten des Landes verloren hat. Darüber kann man nur spekulieren, aber ausgeschlossen scheint es nicht.

Warum sollte der IS den türkischen Staat und mit dem Tourismus eine Schlüsselbranche dieses Staates ins Mark treffen? Als Tayyip Erdogan nach Ausbruch des syrischen Bürgerkrieges 2011 von dem Wunsch besessen war, Präsident Assad zu stürzen und in Damaskus ein sunnitisches Vasallenregime zu installieren, war für diesen Coup jeder Alliierte recht.

Ab 2013 galt das besonders für den IS mit seiner militärischen Schlagkraft, die andere Rebellenverbände in den Schatten stellte. Es gab für diese Kollaboration noch einen anderen Impuls: Mit Hilfe des IS ließen sich die Kurden schwächen, nicht zuletzt die auf Demokratie und Selbstbestimmung bedachten im Norden Syriens. Deren Volksverteidigungseinheiten (YPG) sind mit den Hêzên Parastina Gel (HPG) und damit einem Teil der PKK verbündet – also kämpfte der IS auch gegen den Feind Nr.1 der AKP-Regierung.

Nur theoretisch

Als Gegenleistung konnten die Dschihadisten Ausbildungscamps und Rekrutierungsbüros in der Türkei unterhalten. Ihr Waffentransfer durchlief dieses Land. Das meiste Erdöl, das der IS in von ihm beherrschten Teilen des Nordirak fördern lässt, wird in die Türkei verkauft. Warum sollten die Dschihadisten dieses gewachsene Beziehungsgefüge durch ein Attentat gefährden? Aausgerechnet jetzt. Es heißt doch, der IS sei in die Defensive gedrängt.

Der Nahost-Experte Michael Lüders meint, die Türkei bekämpfe „den Islamischen Staat nur theoretisch“. Warum sollte der also dem türkischen Staat und damit einem Regime schaden wollen, das praktisch sein Partner ist?

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen.

Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zur Wochenzeitung Freitag. Dort arbeitete es von 1996-2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

Lutz Herden

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