Das Kuckucksei

NATO Die geplante Stationierung einer US-Panzerbrigade in Osteuropa wird dem inneren Zusammenhalt der EU alles andere als zuträglich sein
Ausgabe 14/2016
Anfang 2017 soll die Brigade in Osteuropa statoniert werden
Anfang 2017 soll die Brigade in Osteuropa statoniert werden

Foto: Nikolay Doychinov/AFP/Getty Images

Soll die Erosion der EU vorangetrieben oder aufgehalten werden? Wird in Washington diese Frage abgewogen – und davon darf man ausgehen –, ist sie durch eine gerade gefällte Entscheidung klar beantwortet. Die von der Regierung Obama für 2017 avisierte Stationierung einer US-Panzerbrigade mit 4.200 Soldaten in Osteuropa schadet dem inneren Zusammenhalt der Staatenunion. Sie wird weder einer politischen Selbstbestimmung der EU noch einem entkrampften Umgang mit Russland zuträglich sein. Amerika bedient stark auf sich selbst bedachte EU-Mitglieder wie die baltischen Staaten, Polen und Tschechien mit Militärpräsenz. Die geben vor – in unterschiedlichem Maße, versteht sich –, von Russland bedroht zu sein.

Der Erzfeind im Osten wird uns eines Tages überrennen, beteuert die rechtskonservative PiS-Regierung in Warschau. Freilich bleibt deren Mentor Jarosław Kaczyński bisher den Beweis dafür schuldig, dass im Kreml über den sichersten Weg zum kollektiven Suizid nachgedacht wird. Ein Angriff auf Polen würde in der NATO den Bündnis- und Verteidigungsfall auslösen, der einen Aggressor in schwere Bedrängnis brächte. Wer sollte das wollen in Moskau? Irrationale Obsessionen genießen derzeit in Warschau ein Heimrecht.

Tatsächlich zeugt die Panzerbrigade vom Willen der USA, eine eigene Russland-Politik zu verfolgen. Dazu bedarf es williger Alliierter in Osteuropa. Polen, Estland, Lettland und Litauen haben die Verlegung der US-Brigade umgehend begrüßt. Sich an den Schirmherrn USA anlehnen heißt, in der EU weiter ein Pendlerdasein nach dem Muster fristen zu können: Mit Brüssel in der Flüchtlingskrise kollidieren, mit Washington in der Russland-Abwehr harmonieren. Das suggeriert Souveränität. Regierungen in Warschau, Prag oder Bratislava haben sich diesem Eindruck bereits hingegeben, als Anfang 2003 der vom damaligen US-Präsidenten George Bush angestrebte Irak-Feldzug Europa spaltete. Zur „Koalition der Willigen“ zählten seinerzeit fast alle Staaten Osteuropas. Sie mögen von diesem Krieg nicht vollends überzeugt gewesen sein. Doch hielten sie Treue gegenüber den USA für angebrachter als das Bekenntnis zu den Kriegsverweigerern Deutschland und Frankreich. Statt der gemeinsamen gab es eine Sicherheitspolitik à la carte, und das oft warnend beschworene Europa à la carte war prompt über seine Gegensätze definiert.

Wer in Washington von europäischer Emanzipation im transatlantischen Verhältnis nichts hält, fördert solcherart Dissens. Der bemüht sich um eine Parallelität von EU und NATO, die stets dazu führt, dass sich amerikanische Dominanz – etwa in der Ukraine-Frage – Geltung verschafft. Der beschlossene Truppentransfer korrespondiert mit der von General Philip Breedlove, dem Oberbefehlshaber der US-Streitkräfte in Europa, empfohlenen Strategie der Härte gegenüber Russland.

So werden keine Einladungen zum NATO-Russland-Rat ausgesprochen, den der deutsche Außenminister gern reanimiert sähe. Stattdessen wird die NATO-Russland-Akte von 1997 unterlaufen, die es der westlichen Allianz verbietet, „substanzielle Kampftruppen dauerhaft zu stationieren“. Auch wenn die US-Brigade wechselnde Standorte haben soll, beeinflusst sie die strategische Balance zwischen der NATO und Russland, dessen Gegenmaßnahmen gewiss Anlass bieten, im Westen über die wachsende Bedrohung aus dem Osten zu klagen. Ein klassischer Fall für sich selbst erfüllende Prophezeiungen.

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Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur „Politik“, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen. Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zum Freitag. Dort arbeitete es von 1996 bis 2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

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