Das nächste Scherbengericht

Atomwaffen Kippt Donald Trump auch noch den INF-Vertrag, hat sich atomare Rüstungskontrolle bis auf weiteres erledigt. Russland wird nicht untätig bleiben
Der US-Präsident verbraucht Verträge wir Mitarbeiter
Der US-Präsident verbraucht Verträge wir Mitarbeiter

Foto: Nicholas Kamm / AFP - Getty Images

Was in der Luft liegt, kann man sich vergegenwärtigen durch eine gedankliche Rückkehr in die Jahre 1983/84. Seinerzeit drohten die sogenannte NATO-Nachrüstung und sowjetische Gegenaktionen, Europa zum nuklearen Gefechtsfeld zu machen. Auf dem Gebiet der damaligen BRD wurden von den USA Pershing-II-Raketen und im gesamten westeuropäischen NATO-Raum Cruise Missiles (Flügelraketen) stationiert.

Die Sowjetunion reagierte darauf, indem sie atomare Kurzstreckenwaffen auf dem Territorium der DDR platzierte. In der Konsequenz sanken die „Vorwarnzeiten“ auf wenige Minuten. Damit gemeint war die Zeitspanne, die zwischen der Auslösung eines Atomalarms und einem möglichen Atomangriff – oder eben zur Korrektur eines Fehlalarms – blieb. Über die extrem wachsenden Sicherheitsrisiken für die NATO- wie die Warschauer Pakt-Staaten war man sich wohl bewusst – und musste Abhilfe schaffen. Begünstigt durch die Politik des 1985 ins Amt gekommenen sowjetischen Parteichefs Michail Gorbatschow und einen US-Präsidenten Ronald Reagan, der sich konstruktiven Offerten aus Moskau nicht verschließen konnte, kamen die beiden Supermächte zum INF-Vertrag, der Ende 1987 in Washington unterzeichnet wurde. Dieses Übereinkommen war ein eben solcher Durchbruch wie die SALT-Abkommen in den 1970er Jahren zur erstmaligen Begrenzung der strategischen Rüstung.

Die große Verschrottung

Wie vom INF-Abkommen vorgeschrieben, wurde ab Mitte der 1980er Jahre auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs verschrottet, was an landgestützten Raketen vorhanden war und eine Reichweite zwischen 500 und 5.500 Kilometern hatte. Auf diese Weise verschwanden 70 bis 80 Prozent der Vernichtungspotenziale der USA und der Sowjetunion. Die Dimension unterstreicht den Wert eines Vertrages, der plötzlich zur Disposition steht, weil sich Donald Trump nach dem Verriss des Pariser Klima-Abkommens und des Iran-Atomvertrags weiter steigern will.

Der Vorwurf an Moskau, gegen den INF-Vertrag verstoßen zu haben, ist nicht von der Hand zu weisen, blendet aber den Umstand aus, dass allein in Europa keine nukleare Parität mehr gewahrt ist, seit die USA Abwehrsysteme in Polen und Rumänien disloziert haben, deren Trägersysteme jederzeit nuklear bestückt werden können. Es war absehbar, dass Russland wegen dieser lange umstrittenen Stationierung irgendwann Gegenmaßnahmen träfe, sollte es das im Interesse seiner Zweitschlagkapazitäten für geboten halten. Offenkundig gehört die Entwicklung des Marschflugkörpers SSC-8 zu den in Moskau für unausweichlich gehaltenen Schritten. Prompt wurde das auf der jüngsten Tagung der NATO-Verteidigungsminister in Brüssel als INF-Verstoß moniert. Generalsekretär Stoltenberg äußerte sich öffentlich dazu und wiederholte, was US-Verteidigungsminister James Mattis bereits gesagt hatte.

Kein New Start-Vertrag

Insofern kommt Trumps angekündigter INF-Ausstieg nicht völlig überraschend – und muss noch nicht das letzte Wort sein. In Nevada meinte er am Wochenende mit Blick auf Russland und China: „Lasst uns klug handeln. Dann machen wir es so, dass keiner von uns diese Waffen entwickelt.“ So viel dürfte Trump von seinen Beratern vernommen haben: Ist es mit der Bannung der nuklearen Mittelstrecken-Arsenale wirklich vorbei, wird von der gesamten atomaren Rüstungskontrolle nur ein Scherbenhaufen bleiben. Dann dürfte sich auch der New Start-Vertrag erledigt haben, der 2020 ausläuft.

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Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur „Politik“, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen. Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zum Freitag. Dort arbeitete es von 1996 bis 2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

Lutz Herden

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