Geht das Gespenst des Dschihad auch zwischen dem Kaspischen Meer und der Westgrenze Chinas um? Zeigt es sich im brachialen Machtwillen islamischer Gotteskrieger, denen Destabilisierung bis hin zum Bürgerkrieg als Dividende des Tschetschenien-Konflikts hoch willkommen ist? Sind sie verwandt oder gar verschwistert mit den Prätorianergarden der Taleban-Oberen in Kabul? Die Schreckensszenarien für Zentralasien geraten um so alarmierender, je länger im Nordkaukasus gekämpft wird.
Kolportiert werden die apokalyptischen Visionen von vielen. Besonders gern aber von den Führungseliten in den Staaten der Region selbst - in Kirgistan, Turkmenistan, Usbekistan, Tadschikistan und Kasachstan. Die einstigen Sowjetrepubliken sind derzeit ausnahmslos dem Patronat demokratisch legitimierter Autokraten unterworfen, zwischen denen es teilweise markante Unterschiede gibt und die sich in unterschiedlicher Weise mit islamistischer Rebellion und Subversion konfrontiert sehen.
Den Homo Islamicus indes gibt es auch in Zentralasien nur als Fiktion. Wohl existiert ein zum Teil islamistisch unterspültes Auffangbecken für eine Opposition, die sich in jedem der angeführten Staaten diszipliniert und reglementiert findet. Auch wirkt der Islam bei einem Verlust an verlässlichen Wertorientierungen wie ein emotionales Ventil für Menschen mit einer starken Sehnsucht nach kultureller und nationaler Identität. Doch nichts wäre fataler - gerade vor dem Hintergrund des Tschetschenien-Krieges - auf eine monolithische Kraft schließen zu wollen, deren Radikalität zu den Taleban oder den Freischärlern eines Shamil Basajew aufschließen könnte. Selbst die islamistische Bürgerkriegspartei in Tadschikistans sympathisierte mit den Taleban, sah sich jedoch nie als deren fünfte Kolonne nördlich des Hindukusch.
Weitaus bedrohlicher als die islamische Herausforderung erscheint die nationalistische Attitüde der autokratischen Systeme, wenn in Anspielung auf die Zugehörigkeit der Bevölkerungen Kirgistans, Turkmenistans, Tadschikistans, vor allem Usbekistans zur Ethnie der Turkstämme ein Pan-Türkismus postuliert wird, mit dem ambitionierte Regionalmächte nach den Ingredienzen des Hegemonialen streben. Im Great Game auf dem Territorium der einstigen Sowjetunion äußert sich in solchen Bestrebungen auch der Bedarf an Abstand gegenüber Russland.
Usbekistan - umhegter Warlord
Wie erwartet hat es Islam Karimow am 9. Januar 2000 mühelos geschafft, die Präsidentenwahl gegen einen Sparringspartner von der Opposition zu gewinnen. Er hat die Entscheidung - auch dies erwartungsgemäß - als Zeichen für die Einheit der usbekischen Nation gedeutet, die sich zu wehren wisse, sollte die Bedrohung von außen andauern. - In der Tat, als 1992 in Tadschikistan der innere Krieg mit der islamistischen Guerilla ausbrach und vier Jahre später die Taleban Kabul einnahmen, glaubte sich auch Usbekistan der Gefahr eines überbordenden Islamismus ausgesetzt. Für den Süden wurde kurzzeitig die Idee eines Pufferstaates erwogen, um ein Einsickern der Koranschüler abzublocken. Auf dem afghanischen Schachbrett wurde daraufhin "Usbekengeneral" Rashid Dostom für Präsident Karimow zu einer unverzichtbaren Figur. Waffen- und logistische Hilfe aus Taschkent galt als selbstverständlich, auch dann noch, nachdem sich ab 1997 das Kriegsglück des Warlords als recht launisch offenbart hatte.
Bis heute wird in Usbekistan jede isla mische Strömung, sobald sie sich über eine Partei zu artikulieren sucht, als "staatsfeindlicher Fundamentalismus" gebrandmarkt. Insofern kann es nicht überraschen, wenn Staatschef Karimow voller Unruhe beobachtet, ob im benachbarten Tadschikistan ein erneuter islamistischer Aufruhr eingedämmt werden kann oder nicht. Schließlich dominiert in der usbekischen Region Samarkand eine tadschikische Bevölkerungsgruppe mit streng religiöser Bindung, die ein Aufflammen des Machtkampfes in Tadschikistan nicht unberührt lassen dürfte. Sollte es dazu kommen, wäre damit auch die Präsenz von 25.000 russischen Soldaten in der Region (vorzugsweise in Tadschikistan) verlängert, die Karimow als fortwährendes Ärgernis für die junge "Regionalmacht Usbekistan" betrachtet.
Tadschikistan - brüskierte Opposition
Ein halbherziger Kompromiss liefert bestenfalls die Vorlage für einen fragilen Frieden - Tadschikistan bemüht sich um einen eindrucksvollen Beweis dafür, denn die Versöhnung zwischen der Regierung und dem proislamischen Dachverband der Tadschikischen Opposition (OTO) wird mit stereotyper Regelmäßigkeit in Frage gestellt. Der jüngste Anlass bot sich mit dem 6. November, als mit der Präsidentschaftswahl eigentlich ein Schritt in Richtung innerer Stabilität erhofft war. Das Votum wurde zum strammen Durchmarsch für den bisherigen Amtsinhaber Emomali Rachmonow, nachdem die Kandidaten der Opposition - von der Partei der Islamischen Wiedergeburt, der Demokratischen- und Gerechtigkeitspartei - vor der Abstimmung nicht die geforderten 145.000 Unterschriften eigener Sympathisanten herzeigen konnten und daher gar nicht erst antreten durften. Seitdem boykottieren Teile der Opposition den Friedensprozess.
1997 hatten Verträge zwischen Rachmonow und der OTO einen fünfjährigen, religiös gefärbten Bürgerkrieg beendet. Seitdem wurde die Opposition schrittweise mit einer Quote von 30 Prozent an der Regierung sowie allen nachgeordneten Verwaltungen beteiligt - doch fühlte sie sich dadurch mehr kanalisiert als emanzipiert. Im Osten und Süden (Grenze zu Afghanistan) gibt es noch immer oder schon wieder bewaffnete, islamistische Formationen, die jederzeit marschbereit sind.
Kirgistan - umkämpftes Tal
Unübersehbar sind die Krisensymptome seit August 1999, als im Westen Kirgistans aus Usbekistan geflohene islamistische Verbände in das von Usbeken und Kirgisen bewohnte Fergana-Tal eindrangen. Die kirgisische Armee holte zwar zu einem massiven Militäreinsatz aus, bei dem es Hunderte von Toten gab, ohne dass es gelang, die Rebellen über die Grenze zurückzudrängen. - Die Stabilität des Landes baut auf eine innerethnische Balance zwischen Volksgruppen und Clans sowie deren Loyalität gegenüber der Zentralmacht in Bischkek. Doch diese Balance ist ernsthaft gestört, seit 1998 auf Betreiben von Präsident Askar Akajew per Gesetz die Privatisierung des gesamten landwirtschaftlich nutzbaren Bodens verfügt wurde. Da 94 Prozent des Territoriums aus Hochland und Gebirgen bestehen, reduzieren sich die Agrarflächen auf das Tschu-Tal um die Hauptstadt und das Fergana-Tal, bei deren Aufteilung unter den Clans Konflikte drohen, die nicht nur eine lokale Dimension haben, sondern - auf das ganze Land bezogen - Gegensätze fördern können, die es ohnehin zwischen dem Norden mit seiner Affinität zum stark russifizierten Kasachstan und dem Süden mit einer eher auf Tadschikistan fixierten islamischen Komponente gibt.
Turkmenistan - weiser Vater
Saparmurat Nijasow - bis 1991 Erster Sekretär des ZK der KP Turkmenistans - überstrahlt heute als "weiser Vater aller Turkmenen" ein Land, das er seit 1999 (per Referendum abgesegnet) als "Präsident auf Lebenszeit" regiert. Zuweilen treibt ihn der Kult um seine Person soweit, sich mit dem altturkmenischen Wort "serdar" (Führer) ehren zu lassen. Offenbar im Vertrauen darauf, niemand werde es riskieren, die eigentliche Bedeutung des Begriffs zu erinnern. Der meint einen "Kriegsherren", der im Mittelalter lediglich für die Dauer eines Feldzuges gewählt wurde und danach seine Vollmachten wieder abgeben musste. Aber Nijasow braucht keine Feldzüge, schon gar nicht gegen eine wie auch immer disponierte islamische Opposition. Die Sippen- und Stammesclans der größtenteils noch nomadisierenden Turkmenen verhalten sich loyal. Der Präsident hat ihren Islam nicht nur von Anfang an respektiert, er verstand es geschickt, ihn auch zu instrumentalisieren. Die neue Verfassung von 1992 erhob ihn zur Staatsreligion, außerdem nennt sich das Parlament seither Islamische Versammlung. Florierende Beziehungen zum Iran bewirken ein Übriges. Teheran bezieht seit 1998 über eine eigene Pipeline turkmenisches Erdgas (das Land verfügt über die drittgrößten Reserven der Welt), nachdem Russ land das bis dato geltende Vermarktungsmonopol verloren hatte. Nijasow setzt auf vorsichtige Distanz zu Moskau, doch ebenso zu Kasachstan, Usbekistan und Kirgistan, deren 1998 aus der Taufe gehobene "Wirtschaftsunion" für Aschchabad zu sehr einem regionalen Schulterschluss postsowjetischer Eliten gegen den Islamismus zu gleichen schien.
Kasachstan - repressive Stabilität
Auch Präsident Nursultan Nasarbajew führte wie seine Amtsbrüder in Usbekistan und Turkmenistan bis zur Verabschiedung der UdSSR die Kommunistische Partei seiner Sowjetrepublik. Nach der Unabhängigkeit von 1991 fand er zu einer nicht länger ideologisch, dafür um so mehr national gefärbten Legitimation. Kasachstan galt bis Mitte der Neunziger in Zentralasien als Vorreiter für Demokratisierung und marktwirtschaftliche Reformen. Hinzu kam ein pragmatischer Interessenausgleich mit Russland, der allein schon deshalb geboten schien, weil die Kasachen gegenüber dem starken russischen Bevölkerungsanteil (38,5 Prozent) in der Minderheit waren. Stabilitätsfördernd wirkte zudem das Fehlen ernstzunehmender islamistischer Kräfte. Inzwischen hat Nasarbajew ein auf seine Person zugeschnittenes Präsidialregime installiert, das sich nicht gerade bemerkenswerter ökonomischer Erfolge rühmen kann. Das System erscheint um so dekadenter und erschütterbarer, je mehr Kasachstan von sozialer Polarisierung gezeichnet ist.
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