Politische Courage als Berufung, Hartnäckigkeit als Tugend – Venezuelas Präsident hat mit diesem Credo wieder einmal triumphiert. Seine neue Bolivarische Verfassung hat sich im zweiten Anlauf durchgesetzt, und das keine vier Wochen, nachdem sich auch in Bolivien Präsident Evo Morales einem vergleichbaren Votum bestätigt fand. Der Triumph für Chávez mit mehr als 54 Prozent Zustimmung fällt in die Zeit des 10. Jahrestages der Bolivarischen Revolution. Ihre Protagonisten können es sich als Verdienst anrechnen, als erste an der Schwelle des Wandels in Lateinamerika gestanden zu haben, der heute – bis auf Kolumbien und Peru – fast alle Staaten des Subkontinents erfasst hat. Man kann es wahrhaben oder sich darüber hinweg lügen: Hugo Chávez ist der informelle Wortführer der neuen linken Regierungen. Es ist es auch dank seines Charismas, seines Sendungsbewusstseins und seines Mutes, diesen Aufbruch dem Kuba Fidel Castros zu widmen.
Venezuela zeigt, eine Politik gegen Armut, Korruption und chronische Instabilität ist erfolgreich und glaubwürdig, weil sie im Interesse einer Mehrheit stattfindet, die sich dann auch als politische Mehrheit artikuliert, wenn sie – wie bei diesem Referendum – gefragt wird. Von welcher Regierung in Europa ließe sich sagen, dass sie derzeit soviel Anstand besitzt, einer Politik im Interesse der Mehrheit zu folgen? Es geschieht genau das Gegenteil, wenn Volksvermögen mit vollen Händen verschleudert wird, um ein marodes Bankensystem zu retten, als Rückgrat einer Wirtschaftsordnung , die dazu selbst nicht mehr in der Lage ist. Man hört schon, wie sich die Tugendwächter der salonlinken PC-Community von Roth über Kuhn bis Nahles an Chávez abarbeiten werden. Man kennt ihre Sprüche zur Genüge: Vom „autoritären Durchmarsch des Caudillo“, dem „linken Diktator“ oder vom „Revival alter Mythen a la Castro“. Sie kommen von Leuten, die hierzulande den Nachweis ihrer politischen Existenzberechtigung schuldig bleiben: Weil sie außerstande sind oder sein wollen, eine Widerstandsfront gegen eine Regierung zu formieren, die den freigiebigen Konkursverwalter einer Diktatur des Finanzkapitals gibt.
Denn was erleben wir derzeit eigentlich Anderes als einen Zustand, in dem eine morbide Finanzoligarchie Gesellschaft und Staat als Geiseln vorführt. Plötzlich redet die Kanzlerin von einer vielleicht doch unausweichlichen Verstaatlichung des Bankrotteurs Hypo Real Estate, nachdem ihr wochenlang Wille und Entschlusskraft fehlten, gegen die beinharten Marktideologen aus Union und Unternehmerverbänden durchzusetzen, was Gebot der Stunde ist. Stattdessen wurden 100 Milliarden Euro an staatlichen Kapitalhilfen und Kreditbürgschaften im HRE-Sumpf versenkt, knapp vier Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Man wünschte sich, Merkel hätte nur einen Hauch der Autorität und Gestaltungskraft eines Hugo Chávez, um die politischen Entscheidungen zu treffen, zu denen sie ihr Amtseid verpflichtet: Schaden vom deutschen Volk abzuwenden.
Der venezolanische Präsident sucht mit seinem Sozialismus des 21. Jahrhunderts nach Antworten auf Herausforderungen, wie sie sein Land geben kann. Noch steht dies für kein Modell, aber für ein Beispiel auf jeden Fall: Die Bolivarische Revolution bezeugt, welche Kraft ein Bewusstseinswandel auszulösen vermag, der nicht nur über die Grenzen des kapitalistischen Systems hinausweist, sondern dieselben sprengt. Möge das dieser Revolution auch künftig die Überlebenskraft verschaffen, die sie braucht.
Kommentare 4
Ich würde mir ebenso wünschen, dass es deutsche Politiker mit Vision und Gestaltungskraft gäbe, die zB ein Verfassungsreferendum zum EU-Vertrag anstreben würden. Chavez hat den Mut das Volk zu fragen und es entscheiden zu lassen. Von soviel Demokratie sind wir in der EU doch weit entfernt – hier gibt es kein Referendum zum EU-Vertrag!
Leider kann ich nicht nachvollziehen, weshalb Sie Hugo Chavez eine "massive Einschränkung der Demokratie und Meinungsfreiheit" vorwerfen. es handelt sich um einen durch und durch demokratisch legitimierten Staatschef, der sich bisher bei drei Präsidentenwahlen durchsetzen konnte - 1998, 2000 und 2006 -, deren regulären Verlauf weder seine Gegner noch internationale Wahlbeobachter bestritten. Das Votum vom Dezember 2006 gewann Chavez sogar mit 62, 8 Prozent der Stimmen. Außerdem hat er sich durch Referenden legitimieren lassen, nicht zuletzt im August 2004 durch eine Volksabstimmung über die Frage: Verbleiben im amt oder vorzeitige Demission. Hierzulande geht das Demokratieverständnis nicht einmal soweit, ein Plebiszit über einen derart gravierenden Vorgang wie den Beschluss einer EU-Verfassung zuzulassen.
Geben Sie doch zu, dass Ihnen die Politik von Chavezc nicht passt, weil er die Privilegien einer bürgerlichen Elite beschneidet, die einfach abgewirtschaftet hat.
Ich glaube, man muss hier auch die anderen politischen Traditionen, die es in Südamerika gibt, beachten. Die Streitkräfte sind dort seit jeher stärker politisiert und gelten zudem als Garanten eines teils vehementen Patriotismus, so dass auch ihrer Führer - und Chavez kommt aus der Armee -, wenn sie an der Staatsspitze eine Rolle spielen, ganz anders wahrgenommenen werden als zivile Präsidenten.
Für Baszlo, dem, was Sie schreiben, kann ich nur zustimmen, in Deutschland gibt es leider keine plebiszitäre Kultur und die Chance, etwas in dieser Richtung per Verfassung zu verankern, wurde 1990 leider vertan. Es gab mit der Wiedervereinigung - wobei ich diesen Begriff nur äußerst ungern gebrauche, weil ich ihn einfach als Euphemismus empfinde - die Chance, sich zu einer neuen Magna Charta durchzuringen, wie das nach Artikel 146 des alten BRD-Grundgesetzes durchaus legitim gewesen wäre. Dort hätte man endlich nicht nur das Recht, sondern die Pflicht zu Volksabstrimmungen verankern können.
Was haben sich die Wortführer des alten Westens, die politischen wie die publizistischen, am kurzen Herbst der Demokratie in der DDR ergötzt. Wie viel Gefallen fanden sie daran, dass ein "Volk auf der Straße" ein System wanken lässt. Und dann will man diesem im Herbst 89 wegen seiner Mündigkeit so gelobten Volk den Weg zur Wahlurne verbieten, wenn z.B. eine EU-Verfassung beschlossen werden soll? Und dann wird mit Fingern auf Chavez gewiesen, nur weil der einem kulturell und politisch nicht in dem Kram passt? Das ist nicht nur Heichelei, das ist schlichtweg Kulturchauvinismus gegen an anderen politischen Kultur.