Indem wir Fidel Castro achten oder ächten, erzählen wir von uns. Vom Verhältnis zu seiner epochalen Statur und seinem karibischen Sozialismus, der sich über ein halbes Jahrhundert hinweg behauptet hat und manchmal so wirkt, als musste er ein Jahrhundert der Einsamkeit verkraften. Mit der Revolution vermochte Fidel Castro Schneisen durch auf Ewigkeiten gegründete Gefilde der Erniedrigten und Gedemütigten zu schlagen. Dass einer so unbeirrt dem Ideal der Gerechtigkeit diente, wurde gern und vorsätzlich missverstanden, als inhumane Zumutung gegeißelt, als seelenloses Experiment geächtet, als Anachronismus verschrien – Castro als „brutaler Diktator“ denunziert.
Man habe schwere Zeiten hinter sich, sagte der Comandante 2005 in einem Interview, doch sei die Revolution inzwischen das Werk von vier Generationen. Sie könne nicht mehr von außen, nur noch durch sich selbst zerstört werden. Damals waren entbehrungsreiche Jahre überstanden. Es gehörte zu ihrer Wendigkeit, dass 1990 die neuen Regierungen in Warschau, Prag, Budapest oder Ostberlin, denen allenthalben ein höherer humanitärer Standard attestiert wurde als ihren Vorgängern, von Beistand nichts mehr wissen wollten. Kubas Schicksal schien besiegelt.
Auch jetzt fehlt es nicht an frohlockenden Stimmen, die den Tod Fidel Castros als Zeichen des nahen Abschieds von einem Gesellschaftssystem deuten. Auf dass Kuba wieder eingemeindet werde in die alternativlose Dumpfheit ökonomischer Prosperität, die es zur Ultima Ratio erhebt, wenn uns zweihundert verschiedene Smartphones angeboten werden, dafür afrikanische Kids tief in den Bergwerken schuften und Kids anderswo unsere weggeworfenen Smartphones aus dem Müll fischen. Und wehe, es will daran jemand etwas ändern, damit es für immer anders wird und bleibt. Der muss darauf gefasst sein, zum brutalen Diktator erklärt zu werden, dem Menschenrechte einen Dreck wert sind, weil er sie nicht für uns, sondern für diese Kids durchsetzen will. Dem fehlt das Verständnis für die ungeheure Komplexität des Problems, der Nerv für die diskursive Mediation über die Frage, ob oder ob nicht, der Sinn für die Pluralität des Prozesses, der alles regelt und nichts auf den Kopf stellt.
Man muss nur aufs Moralisieren bedacht sein, um jeder Revolution jederzeit ein verheerendes Zeugnis ausstellen zu können. Die bürgerliche Linke des Westens ist in solchem Verriss geübt. Als es nach 1990 nicht länger opportun erschien, Castro und seinem unvollendeten Sozialismus nur einen Hauch von Sympathie zu gönnen, wurde Solidarität mit Kuba wie eine Kinderkrankheit überwunden, deren man sich schämte, indem bestritten wurde, sie gehabt zu haben. Kuba, das sich nicht zum demokratischen Kapitalismus reformieren ließ, hatte es verdient, im Café Einstein per Löffelschlag exkommuniziert zu werden. Derart selbstbetrügerisches Trümmerwerk im Kopf dürfte Castro bis zuletzt suspekt gewesen sein. Fremd sicher nicht. Der Comandante en Jefe hat es stets einen Betrug an der Revolution genannt, diese nicht verteidigen zu wollen gegen eine – und das ist weder Übertreibung noch Phrase – Welt von Feinden. Er teilte diese Überzeugung mit großen Zeitgenossen wie Patrice Lumumba, Ho Chi Minh, Nelson Mandela, Amílcar Cabral, Thomas Sankara, Hugo Chávez, Che Guevara und Camilo Torres, die Gewalt nie anbeteten, aber damit rechnen mussten, davon nicht verschont zu werden.
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