David oder Goliath?

Gaza-Krieg Erneut stoßen israelische Truppen in den Gazastreifen vor, um die Infrastruktur der Hamas zu zerstören. Mit den Luftangriffen ist das offenbar bisher nicht gelungen
Israelische Artillerie-Stellung an der Grenze zum Gazastreifen
Israelische Artillerie-Stellung an der Grenze zum Gazastreifen

Foto: Menahem Kahana / AFP

Es ist eine absurde Deutung des Geschehens der vergangenen Woche, wenn besonders in deutschen Medien behauptet wird, Premier Netanjahu sei Anwalt eines besonnenen, vorsichtigen, Kollateralschäden und zivile Opfer meidenden Kriegsführens im Gazastreifen. Bei mehr als 250 Toten, Tausenden von Verwundeten, die kaum noch versorgt werden können, und 100.000 Palästinensern, die in die Flucht getrieben werden, aber gar nicht wissen, wohin sie fliehen sollen, weil sie nirgends sicher sind – ist das mehr als zynisch.

Gleiches gilt für die Suggestion, Netanjahu habe den Vorstoß von Bodentruppen vermeiden wollen. Es hätten ihn die Hardliner in seiner Regierung dazu gezwungen, im Gazastreifen einzumarschieren. Sicher gibt es im Kabinett die rechtsnationale Flanke um Außenminister Avigdor Lieberman, der aus innenpolitischen Motiven den Regierungschef unter Druck setzt. Er lässt so gut wie nichts unversucht, dies öffentlich deutlich zu machen, um Schneid zu zeigen und Anhänger zu sammeln. Doch wer sich wie Netanjahu einer militärischen Logik verschrieben hat, die Eskalationsstufen regelrecht vorgibt, der kann gar nicht anders, als auch am Boden in die Offensive zu gehen. Das war Ende 2008 mit der Operation „Gegossenes Blei“ nicht anders. Es werden wieder alle Register gezogen. Für den Luftkrieg könnten die Ziele ausgehen

So sind wir seit zehn Tagen Zeugen eines Konflikts, bei dem die am dichtesten besiedelten Wohngebiete einer ganzen Region von Bomben, Raketen und Schiffsartillerie angegriffen und eingeäschert werden – und nun die Panzer rollen. Benjamin Netanjahu hat sich selbst unter Zugzwang gesetzt, als er – bevor die erste Bombe fiel – erklärt hat, man werde der Hamas einen „hohen Preis“ abverlangen. Die Operation „Fels in der Brandung“ werde die Organisation zwingen, den zu zahlen. Worin bestand oder besteht dieser Preis?

Fenster der Verwundbarkeit

Darin, den Gegner soweit auszuschalten, dass er militärisch nicht mehr handlungsfähig ist und dadurch auch politisch paralysiert wird? War das die Absicht, dann scheint dieser „Zahltag“ vorerst gestundet. Je länger das Feuer aus Gaza (bislang etwa 1.300 Raketen) anhält, desto unangenehmer ist das für die israelische Armee wie Netanjahu persönlich. Die Geschosse erreichen eigenes Kernland wie den Großraum Tel Aviv und nicht mehr nur südisraelische Grenzorte. Mehr denn je wird ein "Fenster der Verwundbarkeit" aufgestoßen, das sich schon während des Gaza-Krieges vor zwei Jahren leicht öffnete. Das hat Auswirkungen auf das strategische Verhältnis zwischen beiden Konfliktparteien. Unterschätzt werden sollten sie nicht.

So effektiv das Raketen-Abfangsystem Eisendom bzw. Davids Schleuder bisher auch sein mag – der vollkommen undurchlässige Abwehrschirm ist damit kaum aufgespannt. Davids Steinschleuder gegen Goliath trifft nicht wie gewünscht. Was damit zusammenhängen mag, dass Goliath gar nicht Goliath ist, sondern David sehr ähnlich.

Und je verwundbarer Israel erscheint, desto besser für die Hamas und deren Ziel, ein ebenbürtiger Gegenspieler sein. Die Bodenoffensive ist insofern auch ein Eingeständnis, dass es soweit kommen könnte und durch einen militärischen Kraftakt verhindert werden soll, der nichts dringender braucht als schnellen Erfolg.

Denn je länger die Hamas Israel herausfordert und durchhält, desto mehr gewinnt sie als ein Gegner an Statur, mit dem man sich politisch abfinden und auseinandersetzen muss. Raketen sind dazu wenig geeignet. Verhandlungs- und Kompromissangebote eher. Zu dieser Dimension eines zivilen Schlagabtauschs sind israelische Regierungen (vorerst) jedoch nicht bereit, weil ihnen die Dämonisierung der Widerstandsbewegung und deren Raketen helfen, kompromisslos zu sein. Ein zukunftshaltiges Konzept ist das nicht, eher eine Road Map, um die Abzweigung zum nächsten Krieg nicht zu verpassen.

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Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur „Politik“, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen. Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zum Freitag. Dort arbeitete es von 1996 bis 2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

Lutz Herden

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