Dem Geltungsbewusstsein folgen

Weltordnungspolitik Nach der Rückgewinnung der vollen Souveränität 1990 gab es auch eine Rückkehr zur Machtpolitik, was vom derzeitigen Bundeskabinett voll mitgetragen wird
Merkels Kanzlerschaft folgt dem Credo: Die militärische Seite deutscher Macht 
ist legitimer Teil deutscher Normalität
Merkels Kanzlerschaft folgt dem Credo: Die militärische Seite deutscher Macht 
ist legitimer Teil deutscher Normalität

Foto: Barbara Sax/AFP/Getty Images

Angela Merkel – nicht lange bitten lassen

Was SPD-Kanzler Schröder begonnen hat, wird unter Angela Merkel vollendet: Der Abschied von der bundesdeutschen Nachkriegsidentität. Sie bestand in einer fast demonstrativen militärischen Zurückhaltung, die Reflex auf deutsche Kriegsschuld und Verbrechen, aber auch alliierte Vorbehalte war. Merkels Kanzlerschaft folgt dem Credo: Die militärische Seite deutscher Macht ist legitimer Teil deutscher Normalität. Wenn die Bundesrepublik international gefordert ist – und sei es mit Waffen und Soldaten – sollte sie nicht zaudern, sondern handeln. Für die stärkste EU-Volkswirtschaft und die zweitgrößte Exportnation sei das Bedürfnis nach Weltordnungspolitik normal. Wer global ausgerichtete Interessen verfolge, komme ohne globale Macht--projektion nicht aus. Merkel will auch nach dem Abzugstermin Ende 2014 eine militärische Präsenz Deutschlands in Afghanistan aufrechterhalten.

Guido Westerwelle – mehr Genscher wagen

Als der Außenminister im Frühherbst die Sitzungen des UN-Sicherheitsrates leitet, entsteht der Eindruck: Da findet einer Gefallen an Diplomatie und gehorcht dem inneren Auftrag, Mut haben und wieder mehr Genscher wagen! Außen-politik nicht vorrangig als Sicherheitspolitik oder Militärpolitik, sondern als Weltpolitik begreifen, um Deutschland international den Einfluss zu verschaffen, der ihm gebührt. Westerwelle folgt dem Grundsatz: Erst politisch und nur wenn es sein muss, militärisch intervenieren. Als Minister de Maizière über eine Mali-Mission der Bundeswehr spekuliert, rügt Westerwelle. „Es wird zu viel über einen Militäreinsatz in Mali geredet, zu wenig über das, was jetzt erfolgen muss: die Arbeit an einem politischen Konzept.“ Sein Ministerium betreibe „vorausschauende Außenpolitik“, die auf „strategische Partner“ von Kolumbien bis Vietnam bedacht sei.

Thomas de Maizière – lasst uns reden

Der Verteidigungsminister trommelt seit Monaten, Deutschland müsse welt--weit mehr militärische Verantwortung übernehmen – ein Herold des globalen Engagements. Das NATO-Mandat für deutsche Raketen-Einheiten in der Türkei und eine mögliche UN-Mission in Mali sind nach seinem Geschmack. Doch Thomas de Maizière will mehr. Auch die moralische Rechtfertigung. Wer anderswo interveniert, tut das selbstverständlich nicht aus Geltungsdrang, sondern weil ihm die politische Ethik keine Wahl lässt. Man folge schließlich Werten wie den „universalen Menschenrechten, Frieden, Freiheit, Rechtsstaatlich--keit und Demokratie“. Der Minister fordert mehr öffentliche Debatte über eine derart ambitionierte Sicherheitspolitik. Warum? Weil mehr Auslandseinsätze auch zu mehr Gefährdung für die Soldaten führen und die Gesellschaft darauf eingestimmt werden soll?

Dirk Niebel – auf eigene Interessen bedacht

Häufig trägt der Minister bei Besuchen in Ruanda, Vietnam oder Afghanistan eine grüne Gebirgsjägermütze durch die Gegend. Mit diesem Relikt aus Niebels Militärzeit lässt sich Entschlossenheit signalisieren. Und an der sollte niemand zweifeln. Entwicklungszusammen-arbeit ist heute mehr denn je an deutschen Interessen ausgerichtet. Dazu dient besonders das neue Afrika-Konzept, um dem traditionellen Einfluss Frankreichs und Groß-britanniens Paroli zu bieten. Allerdings wird auch unter Niebel das allgemein anerkannte Ziel, 0,7 Prozent des Bruttoinlandsproduktes für Entwicklungshilfe auszugeben, nicht erreicht. Eine Marge, die Deutschland seit Jahrzehnten verfehlt. Niebels Konzept Chancen schaffen – Zukunft entwickeln verzahnt Aufträge an deutsche Unternehmen mit einer Entwicklungspolitik, die mehr einem boomenden Außenhandel als uneigennütziger Hilfe gewidmet ist.

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Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur „Politik“, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen. Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zum Freitag. Dort arbeitete es von 1996 bis 2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

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