Den Staat sofort ausrufen

Nahost-Verhandlungen Mit den Gesprächen in Washington ist eine einmalige Chance verbunden, gibt sich Barack Obama überzeugt. Die Palästinenser sollten sie für einen Paukenschlag nutzen

Am 13. September 2000 sollte nach dem Oslo-Abkommen von 1995 ein Friedensvertrag zwischen Israelis und Palästinensern unterzeichnet werden. Um dafür letzte Hindernisse aus dem Weg zu räumen, kam es im Juli 2000 zum Dreier-Gipfel von Camp David zwischen dem damaligen US-Präsidenten Clinton, Israels Premier Barak und dem PLO-Vorsitzenden Yassir Arafat. Man kam sich so nah wie nie – doch letzten Endes scheiterte eine Verständigung am Rückkehrrecht für die palästinensischen Flüchtlinge. Für die Verhandlungen in Washington dürften derzeit die israelischen Siedler für den politischen Sprengstoff sorgen, der beide Parteien, Israelis und Palästinenser, weit – zu weit – auseinander treibt.

Um so mehr sollten Präsident Abbas und Premier Fayyad mit einem Paukenschkag dafür sorgen, den Konflikt um einen fortgesetzten Siedlungsbau so zu behandeln, wie er es verdient. Als eine untergeordnete, keine Haupt-Frage, wenn es um die Zweistaatlichkeit in Palästina geht. Präsident Abbas könnte insofern die Verhandlungen mit der Erklärung eröffnen, seine Autonomiebehörde sei aufgelöst – er stehe jetzt einer palästinensischen Regierung vor. Die brauche man schließlich für den eigenen Staat, der vorerst die Westbank und Ost-Jerusalem umfasse. Hoffentlich bald auch Gaza. Warum eigentlich nicht? Einfach das Korsett der Konzilianz abstreifen und einen Maximalismus pflegen, wie er den Israelis nicht fremd ist, wenn sie seit 43 Jahren fremdes Land besetzen.

Umgehend den eigenen Staat auszurufen, wäre das ein einseitiger Akt? Ein willkürlicher? Für die Palästinenser gewiss nicht. Sie wollen seit Jahrzehnten nichts anderes. Und für die USA? Die EU, die Regierungen in Paris, Berlin oder Moskau? Wie oft sind dort das Staatsrecht der Palästinenser und die Zweistaatlichkeit in Palästina zum legitimen Recht erklärt wurden? Natürlich in dem sicheren Gefühl, dass es kaum je oder nie dazu kommt, dies wahrzunehmen. Nun aber werden alle – von Barack Obama bis zu Angela Merkel zeigen, dass sie nicht doppelzüngig daher reden. Es regnet Glückwünsche und diplomatische Anerkennungen. Mehr als nach dem Unabhängigkeitsruf des Kosovo. Was können die Israelis schon tun gegen diesen neuen Staat, den die Staatenwelt gebührend begrüßt. Sich noch mehr isolieren oder über Abzugskonditionen für die Siedler verhandeln, die man nicht von heute auf morgen aus der Westbank vertreiben kann? Die aber gehen müssen.

Ein solches Szenario ist keine schrille Utopie. Schon deshalb nicht, weil der palästinensische Premier Fayyad tatsächlich plant, spätestens 2011 so zu verfahren, wenn bis dahin in Verhandlungen mit den Israelis kein Fußbreit Boden gewonnen, stattdessen an neue Siedlungen verloren wurde. Fayyad ist kein Abenteurer, er hat nichts anders vor Augen, als mit einer unilateralen Aktion eine multilaterale Reaktion herauszufordern, über die es keinen Zweifel geben dürfte. Ein palästinensischer Staat findet den Schutz der internationalen Gemeinschaft, sie hat ihn doch immer gewollt. Und dann wird ver­handelt, von Staat zu Staat, von gleich zu gleich.


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Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur „Politik“, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen. Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zum Freitag. Dort arbeitete es von 1996 bis 2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

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