Nancy Pelosi auf Taiwan: Symbolpolitik der gezielten Provokation

Geopolitik Es wird seitens der USA viel getan, die extrem angespannten internationalen Beziehungen weiter zu belasten. Der Besuch von Nancy Pelosi auf Taiwan zeigt das und zeugt von wenig Verantwortungsgefühl
Ausgabe 31/2022
Der Besuch von Nancy Pelosi kann viel Unheil anrichten
Der Besuch von Nancy Pelosi kann viel Unheil anrichten

Foto: Annabelle Chih/Getty Images

Das tut Taiwan nicht gut. Der Besuch von Nancy Pelosi in Taipeh erhöht nicht etwa die Sicherheit der Inselrepublik, sondern die Spannungen in der Taiwanstraße. Es war absehbar, dass sich die Volksrepublik China von einem derartigen Affront brüskiert fühlt und allergisch reagiert. Präsident Joe Biden selbst deutete an, dass er diesen Trip gerade jetzt für wenig günstig halte. Da aber die Sprecherin des Repräsentantenhauses bereit verkündete hatte, was sie wollte, wäre ein Verzicht auf diese Episode ihrer Asien-Reise von den Republikanern garantiert ausgeschlachtet worden. Sie hätten drei Monate vor den Zwischenwahlen im November den Demokraten bescheinigt, schwach zu sein und vor Peking zu kapitulieren.

Ein Staat, zwei Systeme

Und das bei einem Staat, den die Biden-Administration gleich bei ihrem Antritt im Januar 2021 zum strategischen Gegner Nr. 1 ausgerufen hatte. Mit dem die Konfrontation wieder einmal in der Taiwan-Frage gesucht wird? Regierungen in Peking erklären seit Jahrzehnten ohne Umschweife, sie wollten eine Wiedervereinigung nach Möglichkeit mit friedlichen Mitteln in keiner allzu fernen Zukunft und nach dem Muster „ein Staat, zwei Systeme“ erreichen.

Wenn sich die USA dem – mit aller Macht? – widersetzen, müssen sie wissen, welchen Preis das hat. Dann gilt das Prinzip ganz oder gar nicht. Nicht allein das Risiko eines bewaffneten Konflikts käme in Betracht. Es würden zugleich schwer zerrüttete Beziehungen mit China in Kauf genommen. Was lässt sich damit in einer Situation schwerer weltpolitischer Verwerfung anfangen? Wenig bis gar nichts. Gestärkt wird zwangsläufig der antiwestliche Block aus Russland und China, wenn sich das Verhältnis zwischen Washington und Peking akut verschlechtert.

Ganz abgesehen davon, dass die USA letztlich ihre eigene Taiwan-Politik konterkarieren. Schließlich haben sie seit den 1970er Jahren selbst dafür gesorgt, dass die „Ein-China-Politik“ Pekings weltweit akzeptiert wird. 1971 bereits verlor Taiwan seine Präsenz in den Vereinten Nationen, 1979 kappte Washington den diplomatischen Kontakt mit Taipeh, um diesen fortan allein mit Festland-China als dem „einen China“ zu unterhalten. Das war nicht von konjunkturellen Erwägungen diktiert, sondern eine Richtungsentscheidung.

Das dreimal „Nein“

Sie fiel in die Zeit, als die Brücke zum postmaoistischen China für die USA als probates Mittel galt, um aus dem auf die späten 1960er Jahre zurückgehenden Zerwürfnis zwischen Peking und Moskau politisch und geostrategisch Kapital zu schlagen. Mit China anbändeln, das hieß seinerzeit, der Sowjetunion zu schaden. Den Versuch wenigstens sollte es wert sein für Nixon, Ford, Carter und dann Reagan.

US-Regierungen erwärmten sich plötzlich für das dreimal „Nein“ der Volksrepublik: keine Unterstützung für Taiwans Unabhängigkeit; keine Unterstützung für die Formeln „zwei China“ oder „ein China, ein Taiwan“; keine Mitgliedschaft für Taiwan in Organisationen, für die Nationalstaatlichkeit ein Erfordernis ist. Weil die USA mit ihrer „Ein-China-Politik“ vorangingen, unterhielt bald kein westlicher Staat mehr eine Botschaft in Taipeh. Das nur zur Erinnerung, wenn sich derzeit Nancy Pelosi oder die deutsche Außenministerin so vehement für die „Freiheit und Selbstbestimmung“ Taiwans ins Zeug legen.

Es war kalter westlicher Pragmatismus, der Taiwan die Gunst entzog und zu einem Staat herabstufte, zu dem offizielle staatliche Beziehungen obsolet waren. Taiwan selbst hat das Provisorische und Zwittrige seines Daseins anerkannt, indem es bis heute auf eine Unabhängigkeitserklärung verzichtet.

Die USA haben seit 1979 mit dem Taiwan Relations Act dem einstigen Schutzbefohlenen weiter Schutz versprochen. Freilich waren damit Waffentransfers, Logistik und Ausbildungshilfen für dessen Streitkräfte gemeint. Von einem militärischen Eingreifen, einer Intervention womöglich, war keine Rede. Offiziell jedenfalls nicht.

Koexistenz der Unterschiede

Pelosi lässt daran zweifeln, ob das so bleibt. Die Symbolpolitik der gezielten Provokation, gerichtet gegen China und Präsident Xi Jinping, kann viel Unheil anrichten. Man sollte meinen, dass es Annalena Baerbock fertigbringt, dies zu verstehen und Zurückhaltung walten zu lassen, statt die deutsch-chinesischen Beziehungen zu ruinieren, wie sie das gerade tut. Wie kann es sein, dass deutsche Außenpolitik zur grünen Parteipolitik verkommt?

Allein die Masche, den Konflikt Peking-Taipeh in die Nähe des Krieges Ukraine-Russland zu rücken, ist unverfroren. Es unterstellt China, in Taiwan einmarschieren zu wollen trotz einer seit mehr als 75 Jahren waltenden Koexistenz der Unterschiede, trotz der wiederholten Versicherungen aus Peking, den Weg hin zu einer friedlichen Wiedervereinigung einschlagen zu wollen.

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Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen.

Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zur Wochenzeitung Freitag. Dort arbeitete es von 1996-2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

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