Es gibt eine Vorentscheidung in der kubanischen Nationalversammlung. Der bisherige Vizepräsident Miguel Díaz-Canel soll neuer Staatschef werden. Diese Beförderung markiert das Ende einer Ära: Kuba ohne die Castros, das ist für die in Florida ansässigen Exil-Kubaner so etwas wie der Heilige Gral. Das war das politische Ziel eines Dutzends aufeinanderfolgender US-Präsidenten. Doch in den Straßen von Havanna liegt Gleichmut in der Luft, nicht Hoffnung. Man sieht keine Plakate, die sich auf die Amtsübergabe beziehen, die Person des neuen Präsidenten ist kaum Gesprächsthema. Niemand bezweifelt, dass das herrschende politische System intakt bleibt. Wie ein kubanisches Sprichwort sagt: Es kann von niemandem repariert, aber auch von niemandem umgeworfen werden.
Der 30-jährige Yadiel Sintra, der als Bauarbeiter in der Privatwirtschaft tätig ist, sagt, er habe noch nicht einmal etwas davon gewusst, dass das Land einen neuen Regierungschef bekäme. „Ich erfahre das gerade erst von Ihnen.“
Weiterhin Generalsekretär
Díaz-Canel stehe den allgemeinen Erwartungen zufolge für Kontinuität und nur wenige Kubaner erwarteten dramatische Veränderungen, sagt der politische Analyst Rafael Hernández, der auch der Kommunistischen Partei des Landes angehört. „Wenn ein neuer Präsident eine grundlegende Veränderung in ihrem Leben bedeutete, würden die Kubaner das sehr genau verfolgen. Aber tatsächlich sehen sie es nicht so“, so Hernández.
Auch wenn der 86-jährige Castro von der Last des Präsidentenamtes entbunden ist, wird er politisch weiterhin präsent bleiben und noch bis 2021 das Amt des Generalsekretärs der KP bekleiden. „Der neue Präsident wird im Alltag mehr Macht haben“, glaubt Hal Klepak, Autor einer Biographie Raúl Castros. „Doch jedes Mal, wenn es zu einer Krise oder größeren Problemen mit der US-Außenpolitik oder in der Wirtschaft kommt, wird Raúls Wort das letzte bleiben.“
Von Díaz-Canel, einem vorsichtigen Reformer, der von Raúl Castro ausgewählt wurde, wird erwartet, dass er die Gratwanderung meistert, mehr marktorientierte Reformen einzuleiten, ohne dabei Kubas Sozialpolitik zu opfern. Gesundheitsversorgung und Bildung bleiben in Kuba frei zugänglich. Das Land hat das höchste Ärzteaufkommen pro Kopf in Süd- und Nordamerika, die durchschnittliche Lebenserwartung liegt bei 79 Jahren. Und auch wenn diejenigen, die staatliche Löhne und Gehälter beziehen, merken, dass das Geld knapp wird, wenn sie Fleisch und Gemüse kaufen, sind Grundnahrungsmittel staatlich garantiert.
Menschenrechtsgruppen werfen der Regierung vor, sie stelle Widerspruch und öffentliche Kritik weiterhin unter Strafe, doch die Zahl derer, die lange Zeit im Gefängnis sitzen, hat sich unter Raúl Castro drastisch verringert. Die Regierung ging zunehmend von langen Haftstrafen zu kurzzeitigen Verhaftungen über, bei denen die Betroffenen für gewöhnlich nach einigen Stunden wieder freigelassen werden. Der Cuban Commission for Human Rights and National Reconciliation zufolge wurden im vergangenen Jahr 5.000 aus politischen Gründen verhaftet.
Auf dem Motorrad unterwegs
Obwohl er schon seit über zehn Jahren in der Regierung sitzt, wissen die meisten Kubaner nichts über Díaz-Canels politische Positionen. Seine relative Unbekanntheit spiegelt wider, wie sehr öffentliche Angelegenheiten auf der Insel von oben nach unten geregelt werden. Díaz-Canel, der früher das Amt des Ministers für Hochschulbildung innehatte, wird nachgesagt, er wirke bei seinen gelegentlichen Auftritten in den Medien eher unnahbar, sein Image unterscheidet sich folglich grundlegend von dem des verstorbenen Fidel Castro und dessen Bruder Raúl.
Als Generalsekretär der KP in der Provinz Villa Clara war er in den 1990ern dafür bekannt, dass er sein Haar lang trug und gern Motorrad fuhr. Er machte sich zu seiner Zeit für die Rechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transgender stark, als Homosexualität in der Provinz und von vielen in der Partei noch missbilligt wurde.
Ein entscheidender Unterschied ist, dass er nach der Kubanischen Revolution geboren wurde. Wenn er gewählt werden sollte, wird Díaz-Canel auch der erste Nicht-Soldat sein, der das Land seit 1959 regiert. Vorwürfe, Kuba sei eine Militärdiktatur, haben wehgetan“, sagt Klepak. „Es ist gut, jemanden zu haben, der im System aufgestiegen ist und nicht mit Waffengewalt dort angelangt ist.“
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