Lust am Risiko kann Emmanuel Macron nicht bestritten werden. Er deutet an, mit Europa und als Europäer um die nächste Präsidentschaft streiten zu wollen. Und das beim EU-Nihilismus nationalistischer, ultrarechter Gegenkandidaten wie Marine Le Pen und Éric Zemmour. Umso mehr sieht der Élysée die soeben begonnene Ratspräsidentschaft als Anstoß, das vereinte Europa von seinem Reformstau zu erlösen und notfalls gegen den Strich zu bürsten. Macron will überdies die Regierungschefs der anderen 26 Mitgliedstaaten dafür gewinnen, der EU mehr globale Souveränität zu verschaffen. Es gelte Sorge zu tragen, dass diese Staatenunion vom Ranking her neben den USA, China und Russland nicht abfalle. „Wir müssen zu einem Europa kommen, das stark ist in der Welt, frei in seiner Wahl und Meister des eigenen Schicksals“, so der Präsident. Aus seiner Sicht ist dafür strategisches Eigengewicht unverzichtbar, damit sich die EU von den USA und der NATO emanzipiert, weil das ihrer inneren Verfassung zugute kommt.
Dabei dürfte Macron kaum entgangen sein, dass sein Land lediglich den Europäischen Rat führt, nicht die gesamte EU. Ohnehin wird er mit einer Agenda der Selbstermächtigung auf Gegenwehr bei unentwegten Atlantikern in Deutschland und unerschütterlichen Amerika-Freunden in Osteuropa stoßen. Da sich die Regierung Scholz weniger der imperialen Aura als der inneren Metamorphose der EU verschrieben hat, sind Konflikte mit Paris absehbar. In ihrem Koalitionsvertrag wird für einen verfassungsgebenden Konvent plädiert, der sich einer „Weiterentwicklung der Europäischen Union zum föderalen europäischen Bundesstaat“ widmet. Das klingt verdächtig nach jener „Finalisierung“ der Integration, wie sie der grüne Außenminister Joschka Fischer bei seiner Rede in der Berliner Humboldt-Universität am 12. Mai 2000 zum Ziel erhob. Schon damals lag die Alternative – Bundesstaat oder Staatenbund – in der Luft. Was sich erledigt hatte, als 2005 bei Referenden in Frankreich und den Niederlanden der als Wegbereiter finaler Integration geltende Verfassungsvertrag scheiterte. Will Deutschland ernsthaft reanimieren, was war, wird dem Wahlkämpfer Macron nichts anderes übrig bleiben, als vom Europäer zum Franzosen zu mutieren und vor Irrwegen zu warnen.
Frankreich, perfekter Lobbyist
Die werden für ihn ebenso mit der europäischen Finanzordnung eingeschlagen. Frankreich sind die starren Maastricht-Kriterien für die Schuldaufnahme der Eurostaaten längst suspekt. Inzwischen wird argumentiert, die nötigen staatlichen Investitionen für eine klimafreundlichere Ökonomie werde es nur geben, wenn man Haushalt und Finanzen anpasse. Es sei lächerlich, an Budgetregeln festzuhalten, wenn der finale Klimakollaps drohe.
Als 2020 die 750 Milliarden Euro des Corona-Hilfsfonds der EU größtenteils an den Finanzmärkten aufgenommen werden, ist das ein bis dato undenkbarer Vorgang. In der Not hat das Verschuldungsverbot für die EU jäh ausgedient. Zur Kompensation der Kredite sind (ab 2028) die Mitgliedsländer, doch zugleich neue Einnahmequellen der EU an sich gefragt. So befürwortet die Brüsseler Kommission unter anderem eine Kohlendioxidsteuer für Importe von Nicht-EU-Unternehmen, die geringeren Standards des Klimaschutzes unterliegen als in Europa üblich. Emmanuel Macron hat bereits angekündigt, als Ratspräsident die dafür nötige Beschlussvorlage zu liefern, die schon der nächste EU-Gipfel verabschieden könne. Offen bleibt, inwieweit damit auch Vorkehrungen für eine erneute kollektive Schuldenaufnahme getroffen werden. Zunächst jedoch dürfte ihm der von der EU-Kommission im Namen des europäischen Green Deal vorgegebene Rechtsakt zur sogenannten Taxonomie willkommen sein. Frankreich war als Wortführer der zwölf EU-Länder, die in der Kernenergie eine klimaschonende und förderungswürdige Übergangstechnologie sehen, der perfekte Lobbyist.
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