Den Krieg aus dem Dreck ziehen

Syrien Assads Gegner wie die USA und Israel stecken die Claims ab, um das Projekt „regime change“ nicht ganz abschreiben zu müssen
Ausgabe 07/2018
US-Verteidungsminister Jim Mattis hat den Regimewechsel in Syrien fest im Blick
US-Verteidungsminister Jim Mattis hat den Regimewechsel in Syrien fest im Blick

Foto: Win McNamee/Getty Images

Dass der Krieg einmal aufhört, ist nicht gesagt. Es kann natürlich zu einer kleinen Paus kommen, der Krieg kann sich verschnaufen müssen“, aber das ändere nichts daran, dass ein langes Leben vor ihm liege, tröstet der Feldprediger die Händlerin Anna Fierling. Die zieht in Bertolt Brechts Mutter Courage und ihre Kinder durch den Dreißigjährigen Krieg und wird die Angst nie los, es könnte mit den Heeren und Schlachten vorbei sein, bevor sie alles verkauft hat. Als Marketenderin braucht Fierling nicht Frieden und Menschlichkeit, sondern Tod und Verderben. 500 Jahre später und einen stolzen Zivilisationssprung weiter wäre sie damit in Syrien gut bedient. Sobald dort Hoffnung keimt, das Gemetzel könnte ein Ende haben, erweist die sich als trügerisch, bevor sie ganz erlischt.

Wer etwa glaubte, nach der Rückeroberung von Ost-Aleppo durch die Assad-Armee Ende 2016 sei eine Vorentscheidung gefallen, hatte recht und sich zugleich getäuscht. Zwar beherrscht die syrische Regierung seither wieder alle relevanten städtischen Zentren, nur brachte der symbolhafte Sieg keinen strategischen Durchbruch. Assads Rumpfstaat entbehrt die Gebiete im Norden an der Grenze zur Türkei, dazu am Euphrat im Übergang zum Irak, auch im Westen in der Provinz Idlib. In diesen Regionen stehende Anti-Assad-Kräfte – Kurden, Dschihadisten und andere Rebellenverbände – verfügen von den USA bis zu Saudi-Arabien über externe Paten, die sich nicht damit abfinden, dass der Sturz Assads und ein Durchmarsch des Westens in Syrien gescheitert sind. Wofür Russland verantwortlich ist. Woran Iran einen Anteil hat. Wozu die Syrer beigetragen haben, die Assad für das kleinere Übel halten. Minderheiten wie Christen, Drusen und Alawiten zum Beispiel. Oder die sunnitische Bourgeoisie in Damaskus und Aleppo, die weiß, was sie hat, und fürchtet, was kommt. Nicht das syrische Volk lehnt das Regime ab. Nur ein Teil davon.

Ein Grund für das weltweite Unvermögen, ein misshandeltes Land von der Kriegsfurie zu befreien, ist die Absage an Realitäten wie diese. Stattdessen werden, besonders in Deutschland, ideologisch gefärbte Vorurteile gegenüber anderen politischen und religiösen Kulturen gepflegt, als sei das ein nobler Friedensdienst. Warum rafft sich die außenpolitisch so geltungsbedürftige EU nicht zum diplomatischen Minimum auf, indem sie in Damaskus sondiert statt um Damaskus herum? Lieber wird angeregt zugeschaut, wenn Syrien systematisch zerstört wird, sein staatliches Existenzrecht nur noch eine Farce und zu fürchten ist, dass dem Nahen Osten der nächste failed state winkt.

Derzeit verschaffen sich regional- und großmächtige Akteure die territorialen Domänen, aus denen heraus das Projekt regime change weiter betrieben werden kann. Um dafür die Claims abzustecken, wird gekämpft und gestorben wie seit Monaten nicht mehr. Die Türkei machte den Anfang mit der Aggression im nordsyrischen Kurdengebiet (die jetzt dazu geführt hat, dass die YPG-Milizen ihr Heil in einer Zweckallianz mit der Assad-Armee suchen). US-Militärs folgten mit dem Bombardement von Dair as-Saur, das sich gegen Pro-Assad-Milizen richtete. Israel fühlt sich dazu berufen, die annektierten Golanhöhen gegenüber jedermann zu reklamieren und als Besatzungsmacht (seit über 50 Jahren) allen Ernstes Iran die Präsenz in Syrien anzukreiden.

Wenn er ins Stocken gerät, wird der Krieg zuverlässig aus dem Dreck gezogen. Brechts Feldprediger hat recht, und die Courage kann sich vor ihren Karren spannen. Sie hat nicht nur die große Geldtasche, sondern auch ihr Kreuz zu tragen, weil mit dem „vollkommenen Krieg“ (Brecht), der nie endet, vielleicht irgendwann die Kundschaft ausgeht.

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Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur „Politik“, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen. Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zum Freitag. Dort arbeitete es von 1996 bis 2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

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