Sind den christlichen Gemeinschaften des Abendlandes wie den Kirchenführungen in Europa die Glaubensbrüder in Damaskus etwas wert? Eine klare Aussage fällt schwer. Wäre es so, müssten die Christen in der syrischen Kapitale gerade mit Grußbotschaften und Glückwünsche eingedeckt werden. Erstmals seit Jahren konnten sie wieder ohne Angst zu ihren Osterprozessionen durch die Straßen ziehen und mussten nicht fürchten, mit Raketen und Artillerie aus dem Raum Ost-Ghuta beschossen zu werden, wie es seit Jahren zu einem lebensbedrohlichen Alltag gehört hat. Der Kampf um diese Bastion islamistischer Assad-Gegner ist entschieden. Deren Abzug in die Nordprovinz Idlib hat begonnen – das ist ein gutes Zeichen, nicht nur für die christlich
ichen Gemeinschaften, sondern alle Syrer, ob Alawiten, Drusen, Schiiten oder Sunniten. Sie alle hatten es unter Baschar al-Assad bis 2011 mit einem autoritären, teils brutalen, aber eben auch säkularen Regime zu tun.Entschieden, nicht beendetDie Zäsur in Ost-Ghuta gehört zur militärischen Dividende der vergangenen Monate, in denen sich die Assad-Armee mit russischer Unterstützung in ähnlicher Weise durchgesetzt hat wie im Dezember 2016 weiter im Norden, in Ost-Aleppo. Diese Flurbereinigung bedarf der politischen Nachsorge, der sich die Präsidenten Russlands, der Türkei und des Iran mit ihrem Gipfel in Ankara verschrieben haben. Der Termin für dieses Treffen war vereinbart, bevor über den Ausgang der Schlacht um Ost-Ghuta Klarheit bestand. Woraus sich ersehen lässt, unabhängig davon sollte dringend über eine belastbare syrische Nachkriegsordnung verhandelt werden. Sie braucht Schirmherren, die ein Mandat und die Macht besitzen, die Waffen zum Schweigen zu bringen. Seitdem die syrische Armee Ost-Aleppo zurückgewonnen hat und der IS aus seiner Bastion ar-Raqqa vertrieben wurde, ist dieser Bürgerkrieg entschieden, aber eben nicht beendet.Dass mit dem Astana-Prozess vom Mai 2017 durch Russland, Iran und die Türkei auf den Weg gebrachte Konzept der vier Deeskalationszonen, in denen eine Feuerpause gilt, blieb den erhofften Durchbruch schuldig. Dies zu erwarten, mag angesichts der vielen Konfliktparteien und ihres externen Rückhalts illusionär gewesen sein. Sollten sich jetzt allerdings die USA, wie von Präsident Trump verkündet, tatsächlich aus Syrien zurückziehen, dürfte das auch Saudi-Arabien mehr Zurückhaltung auferlegen. Dann wäre es in der Tat an der Triple-Allianz zwischen Putin, Erdogan und Rohani nach einem Agreement zu suchen, der Kriegs- zu Friedenspaten werden lässt. Auch wenn die Interessenunterschiede erheblich bleiben, scheint allerdings die Überzeugung der drei Mächte gereift zu sein, in einer Zweckallianz mehr zu erreichen als allein.Wovon ist dabei auszugehen? Die türkische Führung wird auf einer Sicherheitszone an der gemeinsamen Grenze mit Syrien bestehen, aus der eine kurdische Autonomie und Selbstbestimmung verbannt ist. Iran wird nicht nur an der Landbrücke über Syrien in den Libanon festhalten, sondern durch die Präsenz in Syrien den Status einer Regionalmacht festigen wollen. Hier Terrain zu sichern, heißt Rückhalt akkumulieren und darauf vorbereitet sein, dass die USA Mitte Mai das Atomabkommen von 2015 für obsolet erklären und die westlichen Partner dieses Vertrages entscheiden müssen, wie sie sich verhalten.Neue Verfassung unverzichtbarRussland wird mit seinen Stützpunkten in Hmeimim und Tartus durch eine Präsenz von Marine und Luftwaffe die Regierung Assad weiter stützen und sich als Akteur im Nahen Osten behaupten, vor allem aber auf den Nachweis bedacht sein, als globale Ordnungsmacht an Statur gewonnen und dem Westen Grenzen aufgezeigt zu haben.Baschar al-Assad schließlich wird durch eine neue Verfassung dem politischen System in Syrien eine andere, neue Legitimationsbasis verschaffen müssen, die nur darin bestehen kann, dass alawitische Dominanz aufgegeben wird. Sie herrscht vor seit der Staatsgründung von 1946, hat aber allein schon wegen des einer gesamtnationalen Anstrengung bedürfenden Wiederaufbaus keine Basis mehr.Russland, Iran und die Türkei wird diese Ausgangslage wohl noch nicht zu einem gemeinsamen Friedensplan animieren, aber hoffentlich begreifen lassen, dass in diesem Moment ein landesweiter Waffenstillstand das Mindeste ist, was die drei Präsidenten voranbringen sollten. Niemand sonst, weder die Vereinten Nationen, noch die USA oder die EU sind zu einem solchen Krisenmanagement willens oder fähig. Der Syrien-Konflikt – das wird sich später mit einem gewissen zeitlichen Abstand sagen lassen – hat die internationalen Beziehungen neu sortiert.