Der Ruf verklagt sein Echo

Libyen Erst ließ man das Land mit Anarchie, Clan-Rivalitäten und Terror allein, nun empört man sich über den Warlord Haftar. Das ist heuchlerisch
Ausgabe 15/2019
Khalifa Haftar (links) bei einer Militärparade im vergangenen Jahr
Khalifa Haftar (links) bei einer Militärparade im vergangenen Jahr

Foto: Abdullah Doma/AFP/Getty Images

Eine autoritäre Lösung muss von vielen schlechten Optionen nicht die schlechteste sein. Sie ist möglich, sofern Khalifa Haftar mit seiner Libyschen Nationalarmee (LNA) wirklich in Tripolis einmarschiert. Er wird als Eroberer aus dem Osten das Land nicht einen, aber so weit führen können, dass weiterer Zerfall verlangsamt wird. Der Marschall vermag von allen Warlords am ehesten zu halten, was er verspricht. Er stützt sich auf disziplinierte Streitkräfte, den zuletzt gesicherten Terraingewinn im Süden und den arabischen Rückhalt besonders Ägyptens und der Vereinigten Arabischen Emirate.

Haftar hat in den vergangenen Jahren sein Potenzial genutzt, um im Osten und Süden Städte vom Kalifat des Islamischen Staates und der dschihadistischen „Ansar al-Scharia“-Miliz zu befreien. Und er verfügt über ein Wirtschaftsprogramm. Was also spricht gegen ihn? Dass er den USA, Großbritannien, Italien und, mit Abstrichen, Frankreich suspekt ist? Ausgerechnet den Staaten, die mit ihrer Intervention der Luftschläge 2011 maßgeblichen Anteil daran hatten, dass aus Libyen der „failed state“ wurde, der heute ein höchst kümmerliches Dasein fristet? Seinerzeit musste eine UN-Resolution herhalten, um durch den gewaltsamen Sturz von Staatschef Gaddafi einen „regime change“ auszulösen. Nur fehlte es an Verantwortung – man könnte sagen: Anstand –, um sich danach des Landes anzunehmen, das man gerade aus den Angeln zu heben wusste.

Libyen blieb allein. Und das hieß, es blieb Gewalt, Anarchie, Clan-Rivalitäten, ökonomischem Verfall, Kriminalität und islamistischem Terror überlassen. Es wurde zum Muster für ein sieches Gemeinwesen, für das sich der Werteexport des Westens in etwa so gelohnt hatte wie für den Irak. Die jetzige Empörung über Haftars Operation wird vollends zur Heuchelei, wenn die mutmaßlich international anerkannte, tatsächlich vom Westen erzwungene Regierung des Premiers Sarradj zum Opfer eines machtgierigen Kriegers erklärt wird. Dabei ist bekannt, dass Sarradj’ Stützen konkurrierende Milizen sind, die Gelder und Aufträge von Firmen oder Ministerien erpressen und wissen, was sie zu verlieren haben, sollte Haftar sich durchsetzen. Da werden aus Antipoden schnell Alliierte.

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Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur „Politik“, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen. Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zum Freitag. Dort arbeitete es von 1996 bis 2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

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