Um Irrtümern vorzubeugen: Für den Kriegsschauplatz Ukraine ist weder ein allgemeiner Waffenstillstand noch eine lokale Feuerpause für Odessa vereinbart. Unterschrieben wurde am 20. Juli lediglich eine Übereinkunft zwischen Kiew und Moskau, der UNO und der Türkei über Exportkorridore für ukrainisches Getreide im Schwarzen Meer. Das Agreement mutmaßlich begünstigt hat das Einlenken der EU und Litauens beim Transit zwischen Russland und der Exklave Kaliningrad. Der Warentransfer per Bahn läuft seit Mitte Juli wieder ohne Einschränkungen, auch bei Stahl und Zement. Darüber hinaus kann Russland in größerem Umfang Getreide und Dünger an Abnehmer weltweit exportieren. Der Sanktionsfront sind keine Breschen geschlagen, flexibler wirkt sie schon.
Wann das erste Getreide aus der Ukraine verschifft werden kann, hängt auch davon ab, ob das von den Vertragsparteien ausgehandelte Koordinierungs- und Kontrollzentrum in Istanbul bald aktionsfähig ist. Damit soll das NATO-Mitglied Türkei den NATO-Verbündeten Ukraine daran hindern, auf dem sich öffnenden Seeweg Waffen zu schmuggeln. Die UNO hat das in der Person von Generalsekretär António Guterres gebilligt, Einsprüche der USA oder der NATO sind nicht bekannt. Zum Vorspiel dieses Arrangements zählte zweifellos der Teheran-Gipfel zwischen den Präsidenten Erdoğan, Putin und Gastgeber Ebrahim Raisi vor gut einer Woche. Offenbar kam das Treffen auch im Wissen darüber zustande, dass es mit der Ukraine Verhandlungsfortschritte gab, die Russland anerkennen würde.
Joe Biden rollt Wladimir Putin den roten Teppich aus
Doch kam der Dreiergipfel Putin vor allem deshalb gelegen, weil er zeigen konnte, außenpolitisch weder isoliert noch marginalisiert zu sein. Es fehlt zwischen den Interessen Irans, Russlands und der Türkei nicht an Schnittmengen, wovon sich Gebrauch machen lässt. Als das Treffen begann, endete die Nahostreise des US-Präsidenten, deren Ausbeute dürftig blieb. Wenig inspiriert hatte Joe Biden zum Palästina-Konflikt die üblichen Statements zur erhofften, nur eben leider irrealen Zwei-Staaten-Lösung abgeliefert. Von der umstrittenen Begrüßungsszene abgesehen, fehlte dem Besuch beim saudischen Kronprinzen ebenfalls der spektakuläre Aufschlag. Mohammed bin Salman machte wenig Anstalten, sich vom Konsens des OPEC-Kartells zu lösen und mehr Erdöl zu fördern. Und dann rollte der US-Präsident für Putins Visite in Teheran noch unfreiwillig den Teppich aus.
Seine Drohung, wegen des iranischen Atomprogramms gegebenenfalls an der Seite Israels zu intervenieren, konnte die Islamische Republik in ihrer Partnerschaft mit Russland nur bestärken. Bevor Putin landete, wurde als Memorandum of Understanding eine Abmachung zwischen der National Iranian Oil Company und dem Gazprom-Konzern im Wert von 40 Milliarden Dollar signiert. Dass Russland ein von ihm bereits errichtetes Kernkraftwerk im südiranischen Buschehr ausbaut, steht ebenfalls außer Frage. Unter diesen Umständen lag eine Audienz bei Ali Khamenei, dem Obersten Religiösen Führer Irans, auf der Hand, von dem Putin zu hören bekam: „Wenn der Weg für die NATO offen ist, kennt sie keine Grenzen. Wäre sie nicht in der Ukraine gestoppt geworden, hätte sie wenig später denselben Krieg unter dem Krim-Vorwand begonnen.“
Erdoğan unterzeichnete seinerseits Wirtschafts- und Handelsabkommen mit Iran und verwarf westliche Sanktionen, die Bestand haben, solange der Atomvertrag nicht verbindlich erneuert ist. Erdoğans Maxime, sich für das verkrampfte Verhältnis zu EU und NATO durch souveränes Handeln zu entschädigen, war unverkennbar. Was weiterhin gärt, aber nicht gelingt, ist eine türkisch-russische Schirmherrschaft für Syriens Nachkriegsordnung. Erdoğan drohte in Teheran mit einer erneuten Intervention in Nordsyrien, um jede Art von kurdischer Autonomie nahe der türkischen Grenze zu verhindern und Putin zu bedeuten, er solle sich um seinen Krieg kümmern. Ungeachtet dessen rückte in Teheran einmal mehr das Phänomen taktischer Allianzen in den Blick, mit denen sich drei Staaten über die trilaterale Dimension hinaus Geltung verschaffen. Dass der Ukraine-Krieg dies eher befördert als behindert, lässt darin Vorboten einer geopolitischen Neuordnung sehen und Bündnisloyalitäten relativieren.
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