Der Westen muss mit sich selbst verhandeln oder die Diplomatie China überlassen

Meinung China hätte als Parlamentär im Ukraine-Krieg den Vorteil, gegenüber der Kiewer Führung keine Verpflichtungen und auf die russische Führung Einfluss zu haben
Ausgabe 18/2023
Schafft er es Wladimir Putin und Wolodymyr Selenskyj an einen Tisch zu bringen?
Schafft er es Wladimir Putin und Wolodymyr Selenskyj an einen Tisch zu bringen?

Foto: Kevin Frayer/Getty Images

Präsident Xi Jinping hat Wort gehalten. Während des China-Besuchs von Emmanuel Macron beteuerte er, mit Wolodymyr Selenskyj telefonieren zu wollen, sobald sich das vom Zeitpunkt und den Umständen her anbiete. Am 27. April war es so weit. Mittlerweile ist die Rede von einem chinesischen Emissär, dem Diplomaten Li Hui, der in Kiew und Moskau sondieren könne. Für das westliche Staatenkartell wäre es von Vorteil, einer solchen Vermittlung nicht in die Parade zu fahren, sondern abzuwarten und damit auf mehr zu warten als den Ausgang der seit Wochen beschworenen ukrainischen Offensive gegen russische Stellungen.

Die westliche Protektion für die Führung in Kiew ruht auf vier Säulen: dem weitgehend bedingungslosen politischen Beistand, einer finanziellen Alimentierung, ohne die es keinen ukrainischen Staatshaushalt mehr gäbe, einem stetig aufgestockten Waffennachschub, dem bisher eine dadurch ermöglichte Angriffsfähigkeit gegen russisches Territorium (noch) Grenzen setzt. Schließlich die logistische Assistenz auf dem Schlachtfeld. Wollte das westliche Lager verhandeln – und sei es nur über eine Feuerpause –, müsste es das vorzugsweise mit sich selbst tun. Man hätte zu entscheiden, wie schwer dieses Paket künftig sein soll, um die Ukraine als Staat und System über die Zeit zu bringen.

Eine andere Option wären direkte Gespräche zwischen den USA und Russland, deren geostrategische Konkurrenz der Kern des Konflikts ist. Insofern könnte das ein erfolgversprechender Ausweg sein, gäbe es auf beiden Seiten das Bedürfnis, den Krieg zu beenden. Momentan ist das bekanntlich nicht der Fall. Was also bleibt? Der Mediator China? Dafür spricht, dass Peking gegenüber Kiew frei ist von Verpflichtungen, wie sie den Westen binden, moralisch beherrschen und diplomatisch lähmen. Xi Jinping hat so viel Spielraum, wie ihn sich Joe Biden verbieten muss, weil er ihn nicht hat oder haben will. Die Parteilichkeit im Ukraine-Konflikt gerät inzwischen derart pastoral, dass vom rechten Glauben bereits abzufallen droht, wer hauchzart davon abrückt. Kursierende Überlegungen in der NATO, dass ein Gebietsverzicht gegen Sicherheitsgarantien knapp unterhalb einer Mitgliedschaft in der westlichen Allianz eingetauscht werden könnte, haben diesen Effekt. Nicht minder trifft das auf Ansagen zu, wonach Kiew nicht allein über eine Rückeroberung der Krim befinden könne, weil es dazu – ohne massive externe Beihilfe – kaum fähig sei.

Wie der Westen an sich selbst gefesselt bleibt, ist Präsident Selenskyj um den Preis des Untergangs mit seinen Alliierten verleimt. In solcher Lage kommt nun China ins Spiel. Für einen Parlamentär dieses Formats spricht der Verzicht auf feindselige Rhetorik seit Kriegsbeginn, das gegenüber Moskau artikulierte Unbehagen, leichtfertig eine nukleare Eskalation ins Spiel zu bringen, der Rückhalt bei vielen nichtpaktgebundenen Staaten und ein Verhältnis zu Wladimir Putin, wie es westlichen Politikern verwehrt ist. China ist glaubwürdig, weil es seine Nähe zu Russland und sein Verständnis für dessen Sicherheitsinteressen nicht leugnet, aber diesem Krieg nie auch nur das Geringste abgewinnen konnte. Es wird umso glaubwürdiger sein, je wirkungsvoller es gelingt, noch mehr Schaden von der Ukraine und Russland abzuwenden, und vorhandenen Einfluss in Moskau zu nutzen, dass es so weit kommt. Weil dies nicht allein ein verlockendes, sondern vernünftiges Angebot ist, bleibt zu hoffen, dass es nicht aussichtslos sein wird, damit dem Frieden dienen zu wollen.

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Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur „Politik“, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen. Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zum Freitag. Dort arbeitete es von 1996 bis 2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

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