Frankreich: Linksallianz Nupes bietet Macrons Ensemble erfolgreich Paroli

Meinung Die Linksallianz Nupes geht aus der ersten Runde der Parlamentswahl als stärkster Gegner des Präsidenten hervor. Ob der große Coup gelingt, ist nicht vollends ausgeschlossen, dennoch eher zweifelhaft
Emmanuel Macron, Staatspräsident Frankreichs
Emmanuel Macron, Staatspräsident Frankreichs

Foto: Sean Gallup/Getty Images

Das ist schon eine beinahe tragikomische Situation, um nicht gleich das Reizwort „tragisch“ zu bemühen. Für Frankreich steht eine mehr als gravierende Weichenstellung an, aber gerade einmal die Hälfte der Gesellschaft will daran teilhaben. Bei knapp 48 Millionen Wahlberechtigten ist es nicht gelungen, gut 23 Millionen aus Politikverdrossenheit, Wahlabstinenz und -lethargie zu reißen.

Nupes stark, aber nicht stark genug

Auch der neuen Linksallianz Nupes blieb das bei ihrem respektablen Ergebnis in der ersten Runde der Parlamentswahl verwehrt. Immerhin gab es diesmal im Vergleich zum Votum von 2017 eine Beteiligung von 53 statt 48 Prozent. Leider ist das für den Macron-Herausforderer Jean-Luc Mélenchon von der Mobilisierung her nicht genug. Die erzielten gut 26 Prozent für die Linke sind zwar eine Kampfansage an den Macron-Zusammenschluss „Ensemble!“, der etwa gleichauf liegt, aber sie bescheren nicht jenen Durchbruch, auf den das Bündnis aus der Partei La France Insoumise, aus Sozialisten, Kommunisten und Grünen gehofft hat.

Ob der große Coup im zweiten Wahlgang am 19. Juni gelingt, ist nicht vollends ausgeschlossen, dennoch eher zweifelhaft. Dem Macron-Lager werden derzeit mehr als 250 Sitze in der Nationalversammlung vorhergesagt, was zur relativen, womöglich auch absoluten Mehrheit von 289 Mandaten reichen kann. Nupes geriete mit den zu erwartenden 150 bis 210 Sitzen in der Nationalversammlung in eine gewiss starke Position, die aber kaum so stark sein wird, dass sie eine erneute Cohabitation – es wäre die vierte zu Lebzeiten der V. Republik – begünstigen oder gar erzwingen würde.

Übliche Denunziation

Die Allmacht des Staatschefs lässt sich angreifen, brechen indes kaum. Ohnehin hat Macron bereits einen Premier Mélenchon definitiv ausgeschlossen. Niemand könne ihn dazu veranlassen, diesen Politiker zu berufen. Bei momentan soviel Unsicherheit in der Welt dürfe er keine Unordnung in Frankreich dulden. Womit der Wille zum sozialen Wandel, zu mehr Gerechtigkeit und einem ökologischen Umbau des Landes jenseits neoliberaler Blockaden als Drang zu Anarchie und Chaos denunziert wird. In deutschen Medien wird Mélenchon ebenfalls mit Vorliebe als Gefahr beschworen und mit parteiischer Semantik wie „Populist“, „Linksradikaler“, „Linksaußen“ und „Ex-Trotzkist“ bedacht, was mehr stigmatisiert als charakterisiert.

Wie sich doch immer wieder die Reihen schließen und dystopische Gemälde fällig sind, wenn es ans Eingemachte geht – wenn reale Veränderungen nur in Sichtweite, bei weitem nicht vollzogen sind. Auf das Zusammenspiel von bürgerlicher Demokratie und kapitalistischer Dominanz ist Verlass. Im sogenannten europäischen Wertekanon ist nichts so fest verankert wie diese Verabredung. Das hat gar nichts mit Verschwörung zu tun, sondern den Instinkten und Frühwarnsystemen der Etablierten.

Gebrochenes Versprechen

Dazu passt, dass es sich für Macron nun auszahlt, das Versprechen aus der vorangegangenen Legislaturperiode nicht eingehalten zu haben. Er hatte angekündigt, das Wahlrecht soweit zu reformieren, dass eine minimale Dosis Verhältniswahl möglich werde, tat aber nichts dergleichen. Am 19. Juni, zum zweiten Wahlgang, dürfte sich diese Verweigerung als präventive Pflege präsidialer Macht erweisen. Der konstitutionelle Schutz gegen unerwünschte innenpolitische Kraftproben taugt zum Bremsklotz des Wandels.

Dennoch kann es sich Nupes als Erfolg anrechnen, mit einem 650-Maßnahmen-Programm bereits jetzt über die brauchbare Agenda einer schlagkräftigen linken Opposition zu verfügen, die nach dem 19. Juni zwar nicht regieren, aber sehr wohl mitregieren kann.

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Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur „Politik“, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen. Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zum Freitag. Dort arbeitete es von 1996 bis 2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

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