Ein politisches Amt und die dafür brauchbare Gesinnung sind selten zerstritten. Eeher verschwistert und einander zugetan. Als Außenminister war Frank-Walter Steinmeier Anhänger der deutschen Militärpräsenz in Afghanistan – als SPD-Oppositionsführer im Bundestag gibt er dessen Abwickler. Es soll ein genauer Abzugstermin her. Erst dann könnten die Sozialdemokraten der im Januar fälligen Mandatsverlängerung zustimmen. Ein wenig redliches Unterfangen, aber in einer Wohlfühl- und Stimmungsdemokratie alles andere als suspekt. Steinmeier kokettiert mit dem Abzugswillen einer Mehrheit in Deutschland und versucht, Westerwelles Abzugsrhetorik gegen zu Guttenbergs Abzugszögern auszuspielen. Ihn scheint wenig zu stören, dass damit einmal mehr offenbart wird, wie Sozialdemokraten eigene Geschichte und Täterschaft als Fußabtreter benutzen, um sich zu säubern. Gottseidank geht alles schnell vorüber – wo ist der Schnee vom vergangenen Jahrzehnt?
Es war Ende 2001 einer handfesten Erpressung Gerhard Schröders zu danken, dass deutsche Soldaten mit ISAF-Auftrag und de facto als Alliierte der Bush-Administration zum Hindukusch kommandiert wurden. Der SPD-Kanzler zwang seine rot-grüne Mehrheit im Bundestag zum ersten Afghanistan-Mandat, weil er zugleich die Vertrauensfrage stellte. Auftrag Anti-Terror-Krieg – oder Abgang Rot-Grün, so die als Alternative etikettierte Parole.
Ein so zielstrebig geerdetes Engagement jetzt mit einem terminierten Finale auszustatten, mag angehen, wenn das Verursacher-Prinzip nicht vollends ausfällt und ein Minimum an Verantwortung oder gar Verantwortungsethik bleibt. Was wird zum Beispiel mit den afghanischen Verbündeten der internationalen Truppen, falls letztere einer absehbaren Niederlage und der Verantwortung dafür fliehen? Wer im Krieg mit der Besatzungsmacht kooperiert, wird danach nicht wohlgelitten sein. Im Gegenteil. Der ist unter Umständen verbrannt und wenig satisfaktionsfähig. Allein in den Nordprovinzen Baghlan, Takhar und Kunduz haben die Taliban, aber auch andere Fraktionen der Aufständischen wie die Islamische Partei (Hezb-e Islami) oder die Islamische Bewegung Usbekistans (IBU) längst Schattengouverneure eingesetzt und informelle Verwaltungen aufgebaut. Im Fall des Falls könnten die als Phönix aus der Kriegsasche steigen – und sich wie legitimieren? Vermutlich auch durch die exemplarische Bestrafung von – aus ihrer Sicht – Kollaborateuren, die sich etwa für die Afghanische Nationalarmee (ANA) oder Nationalpolizei (ANP) rekrutieren ließen. Dort zu dienen, gilt nur dann als zukunftssicheres Tun, solange die Stärke dieser Körperschaften Überlebensgarantien bietet. Bisher gelingt das, weil die Allianz mit den ISAF-Verbänden wie eine Schutzmantel wirkt und dafür sorgt, dass ANA und ANP eine fragile Macht sein können. Welche Bestandsgarantie wird sie ohne diesen Kordon haben?
Zehn Jahre Besatzung hinterlassen Opfer und Leid, sie bürgen für den Willen zu Rache und Vergeltung, der nur im Idealfall durch den Ruf nach Versöhnung zu besänftigen ist. Der wurde in Afghanistan bisher selten laut und noch seltener erhört. Das war so nach dem endgültigen Fall der sowjetfreundlichen Demokratischen Volkspartei (DVP) zwischen 1992 und 1996. Das blieb so beim Sturz der Taliban zwischen Oktober und Dezember 2001. Als deren Formationen seinerzeit in Kunduz kapitulierten, wurden die Gefangenen von den Milizen des mit den USA liierten Usbeken-Generals Dostum hemmungslos massakriert. Es gab kein Pardon, gegen nichts und niemanden. Es gab auch keine Ermahnung des Schirmherrn an seinen Paladin, sich ans Kriegsrecht zu halten. Weshalb auch? Man führte ja keinen Krieg, sondern eine Strafexpedition gegen das Böse durch.
Natürlich geraten alle Mutmaßungen spekulativ, was davon und von Geschehnissen ähnlicher Art im kollektiven Gedächtnis der Insurgenten haftet. Nur soviel ist sicher, einfach versickern werden die Erinnerungen kaum. Und wer Afghanistan befrieden will, sollte es versöhnen, soweit das möglich ist. Die hinter ISAF stehenden Mächte haben dafür ebenso wenig ein Rezept wie für eine belastbare Nachkriegsordnung. Wenn das so ist, haben sie auch kein Recht nach Belieben mit Rückzugsterminen zu jonglieren und mit Menschenschicksalen zu spielen, weil das an der Heimatfront von Vorteil ist. Wovon die SPD überzeugt scheint.
Wenn – wie Steinmeier fordert – die Bundeswehr 2011 beginnen soll, ihr Kontingent auszudünnen, wie verträgt sich das mit Plänen der NATO, die doch gerade in Lissabon beschlossen hat, bis 2014 zu bleiben? Wie muss die strategische Lage in Nordafghanistan beschaffen sein, um in Teilen oder ganz abzuziehen? So wie jetzt? Besser? Schlechter? Oder ist Steinmeier schon zufrieden, wenn die 350-Mann-Reserve, die derzeit für eine Aufstockung des deutschen Afghanistan-Korps verfügbar ist, gestrichen wird? Man könnte auch anders fragen, mit welcher Anmaßung wird da versucht, aus einem mitverschuldeten Afghanistan-Debakel politischen Mehrwert zu ziehen?
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