Die Akte Chodorkowski

Russland Der Ex-Oligarch und Ex-Yukos-Chef ist begnadigt worden. Es ist damit allerdings kein "politisch Verfolgter" wieder auf freiem Fuß, sondern ein Wirtschaftskrimineller
Michail Chodorkowski 1997 im Kreis der Familie
Michail Chodorkowski 1997 im Kreis der Familie

Foto: imago

Die Wortwahl spricht Bände und ermüdet, weil sie immer wieder den gleiche Sound bedient. Der vom russischen Präsidenten Putin begnadigte Michail Chodorkowski wird als „Gegner Putins“ oder "Kreml-Kritiker" bezeichnet. Zur Auswahl steht auch die Floskel „der persönliche Gefangene Putins“, offenbar um keinen Zweifel am vorzivilisatorischen Zustand Russlands zu lassen. Diese semantische Glasur für einen Wirtschaftskriminellen verdient es, gewürdigt zu werden. Warum nicht durch einen Blick in die „Akte Chodorkowski“?

20 Milliarden

Noch als 26-jähriger Komsomolze und geschätzter Funktionär des KP-Jugendverbandes avancierte Chodorkowski 1990 in Zeiten einer siechen Sowjetunion zum Vorstand der Menatep-Bank, einer Schaltstelle für die Privatisierung von Industriefirmen. Drei Jahre später beförderte Präsident Boris Jelzins den begabten Manager zum stellvertretenden Minister für Energie und Brennstoffe sowie Berater für jene Schocktherapie, wie sie der damalige Premier Jegor Gaidar Russlands Ökonomie verordnet hatte.

Kurz bevor 2003 der erste Chodorkowski-Prozess über die Bühne ging, schrieb die Frankfurter Rundschau über die Spezies der „Neuen Russen“ und deren Frontmann: „Die Mittel, mit denen er zum Oligarchen aufstieg, waren die Mittel eines Raubtierkapitalismus, mit denen eine Schar smarter, mehr oder weniger gewissenloser Geschäftsleute dem russischen Volk den gesellschaftlichen Reichtum raubten.“

Treffend analysiert, denn beim von Chodorkowski ab 1996 geführten Yukos-Ölkonzern, dessen Hausbank – wen konnte das überraschen? – die Menatep-Bank war, sollte sich das besonders bezahlt machen. Dort ließen sich Gewinn-Margen in ungeahnte Höhen treiben, so dass Chodorkowski nur zehn Jahre nach dem Untergang der Sowjetunion als reichster Bürger Russlands galt. Was sich unter anderem damit erklären ließ, dass im Ausland Briefkasten-Firmen nach Order von Yukos russisches Öl verkauften und den russischen Staat Steuereinnahmen von etwa 20 Milliarden Dollar kosteten. So etwas nennt man zuweilen auch Unterschlagung, Betrug und Steuerhinterziehung, um die sich der „Gegner Putins“ verdient machte.

Den Bogen überspannt

Als der Oligarch ab 2002 mit den US-Öl-Giganten Exxon Mobil Corporation und Chevron Corporation über eine Übernahme von Yukos-Anteilen verhandelte und so nicht mehr und nicht weniger als die Preisgabe nationaler Ressourcen betrieb, war der Bogen überspannt. Zuvor hatte Chodorkowski im Überschwang mitgeteilt, er könne Parteien und sogar Wahlergebnisse kaufen. Das wirkte glaubwürdig. Der Yukos-Chef hatte seine Macht nicht irgendwann zur Übermacht erklärt, sondern kurz vor der Duma-Wahl, die für den 7. Dezember 2003 angesetzt war.

Damit allerdings war der „Gegner Putins“ im postsowjetischen Russland weit neben jeder Spur von Legalität gelandet, so dass die Justiz dem Prinzip abschwor, bei Oligarchen möglichst oft Gnade vor Recht walten zu lassen. Ohnehin nahm Wladimir Putin die Gelegenheit gern wahr, an Chodorkowski ein Exempel zu statuieren und den „neuen Russen“ zu bedeuten: Das Chaos und die neoliberale Nonchalance des Jelzins-Jahrzehnts sind Geschichte. Ab jetzt stehen die nationalen Interessen Russlands über denen der Reichen und Superreichen. Wer danach handelt, hat nichts zu befürchten und kann weiter viel Geld verdienen.

Der Rest ist bekannt – der erste Prozess endete im Mai 2005 mit einer Freiheitsstrafe von neun Jahren, ein zweites Verfahren sollte 2009 wegen Geldwäsche folgen – das Urteil: sechs Jahre. Die muss Chodorkowski nun nicht mehr absitzen, er konnte inzwischen im Berliner Luxushotel Adlon einchecken.

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Verändern Sie mit guten Argumenten die Welt. Testen Sie den Freitag in Ihrem bevorzugten Format — kostenlos.

Print

Die wichtigsten Seiten zum Weltgeschehen auf Papier: Holen Sie sich den Freitag jede Woche nach Hause.

Jetzt kostenlos testen

Digital

Ohne Limits auf dem Gerät Ihrer Wahl: Entdecken Sie Freitag+ auf unserer Website und lesen Sie jede Ausgabe als E-Paper.

Jetzt kostenlos testen

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden