Die Eintagsfliege

Thüringen Der gerade gewählte Ministerpräsident Kemmerich geht schon wieder. Was dieser Coup an Kollateralschäden hinterlässt, könnte besonders für die FDP dramatisch sein
Abgang nach dem Auftritt
Abgang nach dem Auftritt

Foto: Steve Bauerschmidt / Imago Images

Man könnte sich damit trösten, dass eine Provinzposse aufgeführt wurde und die damit angerichteten Flurschäden dringend eingehegt werden müssen. Nach nur 24 Stunden ist ein Teil des Spuks wieder vorbei. FDP-Mann Kemmerich muss gehen. Gottseidank. Tatsächlich? Der Wille, die Linke vorzuführen und sich an einem Coup zu berauschen, hat zu einem derartigen Verzicht auf Verantwortung und einem solchen Verlust an Augenmaß geführt, dass irreparable Schäden die Folge sind. Es ist nicht damit getan, sich auf die Lesart einzulassen: Man hat sich eben verrannt, aber jetzt funktioniert ja wieder die demokratischen Selbstkontrolle und die Akteure, vor allem der Ein-Tages-Ministerpräsident, sehen sich in die Schranken gewiesen und rudern zurück.

Das ist bestenfalls die halbe Wahrheit, wenn überhaupt eine brauchbare. Was im Thüringer Landtag am 5. Februar stattgefunden hat, war mindestens ein Probelauf für Sachsen-Anhalt, wo es 2021 Landtagswahlen gibt und mit einem Thüringen-ähnlichen Ergebnis der AfD zu rechnen ist? Und über die kooperationswilligen Kräfte in diesem Landesverband bestehen keine Zweifel.

Im Sumpf der Intrige

Thüringens CDU-Chef Mike Mohring und Kemmerich konnten sich sehr wohl gedeckt und ermutigt fühlen von ihren Parteizentralen in Berlin, was nicht heißt, dass die bis ins letzte Detail und bis zur letzten Konsequenz im Bilde waren, was die Landesgrößen in Erfurt anrichten wollten. Obwohl die FDP-Führung, zumindest Parteichef Christian Lindner, offenbar gewusst und gebilligt hat, was im dritten Wahlgang passieren konnte, man mit der AfD im gleiche Boot sitzt und dabei gesehen wird. Hauptsache, ein linker Ministerpräsident Ramelow wird verhindert. Die obskure Lust der Biedermänner auf Intrige und Komplott, die sich mit der aggressiven Redlichkeit eine bürgerlichen Mitte aufblasen. Wie viel AfD steckt wohl schon in der CDU und der FDP Thüringens?

Welch verhöhnende Missachtung des Publikums, danach zu erklären, man könne nichts für die Mehrheiten, die sich nun einmal ergeben hätten. Es ist immer wieder erstaunlich und erschreckend zugleich, sich der gestörten Selbstwahrnehmung vergewissern zu müssen, von der Politiker in diesem Land beständig erfasst sind.

Kein Wunder, dass Lindner nach Erfurt geeilt ist, um Schadensbegrenzung zu betreiben und – wenn es gut geht – wieder aus dem Sumpf zu steigen, in dem er mit Kemmerich steckt. Mit Faschisten zu kollaborieren, das sorgt für Kollateralschäden, die den Liberalismus schreddern, sofern ihn diese Partei unter diesem Vorsitzenden für sich beansprucht. Könnte sein, dass sich die FDP von der „Operation Erfurt“ so schnell nicht erholt. Wenn überhaupt.

Kurz nach dem Auschwitz-Gedenken

Bei alldem sei nicht vergessen, es waren die Bundesspitzen von CDU/CSU und FDP, die seit der Wahl vom 21. Oktober der Parole anhingen, dass die „Extremisten links und rechts“ keine Partner sein dürften. Dabei war unschwer zu erkennen, dass Ramelow ein Ministerpräsident des Ausgleichs und der Mitte war. Vielleicht erschien er CDU und FDP deshalb so gefährlich, dass sie keine zweite Legislaturperiode zulassen wollten, Wählervotum hin oder her.

Es zeigt sich, allen Lippenbekenntnissen zum Trotz haben CDU und FDP ein ungeklärtes Verhältnis zum Faschismus, wie ihn die AfD wiederauferstehen lässt. Und das keine zwei Wochen nach dem Gedenken an Auschwitz und der heiligen Versicherung, aus der Geschichte gelernt zu haben. Wenn die Maxime gilt, der Linken zu schaden und sie zu schlagen, funktionieren die antikommunistischen Reflexe in der Bundesrepublik zuverlässig. So wie man sich jahrzehntelang mit NS-Eliten in der Politik, der Justiz und in der Bundeswehr einließ, so eben jetzt mit der AfD. Auf die Urinstinkte einer bürgerlichen Gesellschaften ist besonders dann Verlass, wenn sie sich verunsichert fühlt.

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Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur „Politik“, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen. Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zum Freitag. Dort arbeitete es von 1996 bis 2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

Lutz Herden

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