Ob Chinas Präsident Xi Jinping keine andere Wahl hat, als mit Russland verbündet zu sein – oder ob er sich verbündet, weil er genau diese Wahl haben will, das ist angesichts der geopolitischen Umstände weniger offen als eindeutig. Es dürfte zum realpolitischen Selbstverständnis von Emmanuel Macron gehören, dies zu erkennen und anzuerkennen. Folglich hat ihn die strategische Partnerschaft zwischen Peking und Moskau nicht davon abgehalten, nach China zu reisen und dort mehrfach auf Xi zu treffen – in Peking wie im südchinesischen Guangzhou. Darüber muss nicht geraunt und gemutmaßt werden, das war so.
Flankieren oder begleiten
Was allein anfangs rätselhaft erschien, war schnell entschlüsselt. Warum hat Macron Ursula von de
erden, das war so. Flankieren oder begleitenWas allein anfangs rätselhaft erschien, war schnell entschlüsselt. Warum hat Macron Ursula von der Leyen eingeladen, einen Teil seiner China-Reise mit ihm gemeinsam zu bestreiten? Unter anderem die Gespräche mit Staatschef Xi Jinping? Die Antwort lautet, nachdem man weiß, wie es aussah und ausging: Die EU-Kommissionspräsidentin sollte ihn mehr flankieren als begleiten. Auf den Unterschied kam es an. Der Sinn dieses Auftritts bestand nicht darin, eine konzertierte Aktion zwischen Brüssel und Paris abzuliefern. Erst recht wurde Peking mit keiner geballten Ladung europäischer China-Politik versorgt. Wie auch? Die Europäische Union hat in dieser Hinsicht bisher nur Absichten und Ansagen zu bieten, die sich kaum als Agenda wahrnehmen lassen. Frankreich hingegen hatte offenbar in der Person Macrons das dringende Bedürfnis, seine China- als souveräne Außenpolitik zu zelebrieren, die keines EU-Geleitschutzes bedarf. Der allerdings gebraucht wird, um sich von den USA und deren Willen zur forcierten Konfrontation mit China abzusetzen. Dass Macron dabei nicht auf von der Leyen rechnen kann, ließ ihr Pressestatement in Peking in aller Deutlichkeit erfahren: Chinas Zwölf-Punkte-Tableau, um in der Ukraine von Kriegs- auf Friedenslogik umzuschalten, hatte sie bereits als inakzeptabel zurückgewiesen. Nun wurde den Vorschlägen auch die Eignung für Verhandlungen abgestritten. Da war Macron deutlich ausgewogener mit seiner Aufforderung an den Gastgeber, sich für eine diplomatische Lösung einzusetzen, bei der China doch sicher zunächst von seinen Vorstellungen ausgehen dürfte.Charme zum Tee Von der Leyen machte weiter kein Hehl aus ihrer Auffassung, dass Chinas High-Tech-Importe aus der EU – sei es bei Halbleitern oder Biotechnologie – begrenzt gehörten. Gemäß ihrer soeben in Brüssel vorgelegten „Strategie der wirtschaftlichen Sicherheit“ wolle die EU-Kommission entsprechende Investitionen europäischer Unternehmen unterbinden (was auf eine Machtprobe mit etlichen Mitgliedsstaaten hinauslaufen und scheitern dürfte). Macron mochte bei der Teezeremonie mit Präsident Xi im südchinesischen Guangzhou noch soviel Charme ausspielen und über den Wolken schweben – von der Leyen hielt ihn in Schach, sie verschaffte ihm Bodenhaftung, sie unterzog seinen realistischen und deshalb konstruktiven Ansatz beim Thema China dem Tauglichkeitscheck ihrer Kommission. Oder auch einem westlichen Gesinnungstest. Man konnte sich davon überzeugen, dass sie ihn tatsächlich mehr flankierte als begleitete, was nicht damit zusammenhing, dass sie der Gastgeber nicht nach Guangzhou gebeten hatte. Zu sensationell und vernünftig Schon vor dem Ukraine-Krieg ließ es Frankreichs Präsident keineswegs an Erklärungen fehlen, sich von den USA emanzipieren zu wollen, auch wenn wenig dafür geschah. Xi Jinping schenkte Macron dennoch die Gnade des konzilianten Blick. Er nannte Europa „einen unabhängigen Pol in einer multipolaren Welt“ und sah wohlwollend darüber hinweg, dass bestenfalls Frankreich dieser „Pol“ ist, während die EU mehrheitlich transatlantische Disziplin den multipolaren Freiheiten vorzieht. Ursula von der Leyen verkörpert die Reanimation dieses stupiden Korpsgeistes geradezu perfekt.Wie wenig Macron davon zu halten scheint oder vorgibt, davon zu halten, zeigt seine Aufforderung an die EU-Partner, sich in der Taiwan-Frage nicht länger von den USA, Großbritannien und Australien instrumentalisieren zu lassen. Würde das Europa der EU wirklich als „Dritter Pol“ dieses brisanten Konflikts nicht nur zwischen Peking und Taipeh, sondern vorrangig Peking und Washington in Erscheinung treten, könnte das nur in Distanz zu den USA und Präsident Biden geschehen. Es wäre zu sensationell und zu vernünftig, um wahr zu sein. Taiwan und die Ein-China-PolitikOb Macron mit seinem ausgestellten Dissens in den Geruch eines exzentrischen Außenseiters kommt, tut nichts zur Sache. Entscheidend ist, dass im westlichen Lager nicht alle ausreichend verblendet sind, um sich nach der Ukraine auf den nächsten globalen Konflikt einzulassen und sich dabei den Amerikanern anzuvertrauen. Deutschland täte gut daran, Macron nicht abzustempeln, sondern vorsichtig abzuwarten, ob die Amerikaner von ihrem provokativen Maximalismus gegenüber China abrücken und Taiwan nicht länger instrumentalisieren, um gegenüber der Volksrepublik konfrontativ zu bleiben.Man sollte im Übrigen vielleicht daran erinnern, dass in den frühen 1970er Jahren republikanische US-Regierungen zur Ein-China-Politik übergingen und damit nicht Taiwan gemeint war. Es ist ein Ergebnis dieses amerikanischen Pragmatismus, dass heute noch ganze 13 Staaten weltweit – soeben ist Honduras ausgeschert – statt der Volksrepublik China die Republik China, sprich: Taiwan, anerkennen.