FREITAG: Was müsste die israelische Armee mindestens erreichen, wenn die gesamte Operation „Gegossenes Blei“ ein Erfolg gewesen sein soll?
JOCHEN HIPPLER: Aus Sicht der israelischen Regierung und Armee zumindest keine Niederlage, denn einen Erfolg im engeren Sinne kann man sich nur relativ schwierig vorstellen. Dazu sind auch die Zielangaben viel zu widersprüchlich: Es soll nicht um die Zerschlagung von Hamas gehen, nicht um den Sturz der Hamas-Regierung, nicht einmal um die völlige Unterbindung des Raketen-Beschusses. Insofern bleibt vieles unklar. Auf jeden Fall werden Olmert, Livni und Barak vermeiden wollen, eine politische Niederlage hinnehmen zu müssen, wie das 2006 im Libanon war.
Ein politisches Ziel in dem Sinne, dass die Verhandlungen mit den Palästinensern in eine bestimmten Richtung gedrängt werden – sehen Sie das?
Nein, einen Friedensprozess gibt es schon lange nicht mehr. Es wird stattdessen deutlich, wie sich die Stimmung in der Region aufheizt. Es scheint zudem eine Folge des Gaza-Krieges zu sein, dass die Konflikte innerhalb der palästinensischen Gesellschaft noch zunehmen. Auch das macht einen Friedensschluss ausgesprochen schwierig. Was offenbar eine wichtige Rolle spielt, ist die Tatsache, dass am 11. Februar in Israel gewählt werden soll.
Rechnen Sie mit einem Eingreifen der libanesischen Hisbollah, sollte die Hamas in eine sehr prekäre Lage geraten?
Ein solches Eingreifen scheint kaum vorstellbar, denn die Lage von Hamas ist sowieso prekär. Man kann sich auf einem so winzigen Territorium wie dem Gazastreifen nur schwer verteidigen und ist den israelischen Streitkräften hoffnungslos unterlegen. Die Hamas kann militärisch nur wenig ausrichten und deshalb diesen Krieg nur politisch gewinnen. Auf der anderen Seite hat die Hisbollah im Libanon-Krieg 2006 selbst die Erfahrung machen müssen, dass es nicht allein darauf ankommt, militärisch effizient zu sein, sondern dass Sieg oder Niederlage in einer solchen Konflikt eben vor allem als politische Frage zu sehen sind. Dass Hisbollah eine Nordfront gegen Israel eröffnet, halte ich daher für ausgeschlossen.
Wie deuten Sie die Meinungsumschwünge bei Präsident Abbas? Erst erklärt er die Hamas zum Hauptschuldigen des Gaza-Krieges, inzwischen nennt er Israel einen Aggressor?
Da es quasi einen eingefrorenen innerpalästinensischen Bürgerkrieg zwischen Hamas und Fatah gibt, liegt es nahe, dass Abbas der Hamas alles Schlechte wünscht. Auf der anderen Seite ist es natürlich so, dass er in der palästinensischen Gesellschaft und bei seinen eigenen Anhängern immer mehr als Schoßhund Israels wahrgenommen wird – oder als Schoßhund der Amerikaner – und es sich innenpolitisch wie auch in der arabischen Welt einfach nicht leisten kann, als Parteigänger Israels wahrgenommen zu werden. Das kann für Abbas politisch tödlich sein, deshalb bin ich mir nicht sicher, ob er seine Äußerungen zu Beginn der israelischen Bombardements noch einmal kompensieren kann. Er versucht es und hat deshalb Israel als Aggressor verurteilt.
Wie beurteilen Sie den Umstand, dass es in dieser Woche faktisch zwei europäische diplomatische Initiativen gibt – die der EU mit Frau Ferrero-Waldner und Herrn Schwarzenberg und die Nahost-Mission von Nicolas Sarkozy?
Das belegt zweierlei: Die EU ist nicht handlungsfähig, und die EU-Länder sind hilflos, weil – unabhängig davon, für welche Politik sie sich entscheiden – sie nur Randakteure sind und keinen wirklichen Einfluss auf den Gang der Ereignisse haben. Man kann appellieren, aber die israelische Regierung wird sich von den europäischen Ländern nicht vorschreiben lassen, was sie tut und lässt. Der Einfluss der EU auf die Palästinenser ist gleichfalls gering, weil man in der Vergangenheit Kontakte mit Hamas einfach abgelehnt hat. Insofern ist man da schlichtweg draußen und muss seine doppelte Hilflosigkeit eingestehen.
Hängt das auch damit zusammen, dass es EU-Regierungen wie die deutsche gibt, die sich vorbehaltlos hinter Israel stellen?
Das ist eine Position, wie wir sie schon 2006 im Libanon-Krieg durch Frau Merkel erleben konnten, und die sich jetzt wiederholt. Diese Position lässt sich mit dem, was Frankreich und einige andere EU-Länder vertreten, nur schwer vereinbaren. Ich halte sie im Übrigen nicht für besonders klug. Wie will man vermitteln, wie will man noch Einfluss nehmen, wenn man von vornherein Partei ergreift und humanitäre Fragen nicht weiter interessieren, auch wenn der deutsche Außenminister jetzt etwas nachgerüstet hat.
Was meinen Sie das?
Anfangs schien Minister Steinmeier der Linie von Frau Merkel zu folgen, danach begann er von der Notwendigkeit einer Waffenruhe und von einer humanitären Katastrophe in Gaza zu reden. Was darauf hindeutet, dass er nicht länger die Position von Frau Merkel wiederkäut, sondern Akzente setzen will, die auf mehr Ausgewogenheit zielen.
Was bedeutet die jetzige Eskalation für die Nahost-Politik der neuen US-Administration?
Obama hat in gewisser Hinsicht Glück, da er noch nicht im Amt ist und selbst initiativ werden muss. Das kann taktische Vorteile für seine persönliche Stellung haben. Wenn er dann regiert, war er für nichts von dem verantwortlich sein, was in Gaza passiert ist. Andererseits, sollte sich die Lage in der Region weiter verschärfen, wird das eine konstruktive Nahost-Politik nicht unbedingt erleichtern. Allerdings hat Obama einige außenpolitische Schlüsselposten so besetzt, dass die ohnehin fraglich scheint.
Wo sehen Sie die politische Rationalität dessen, was die israelische Regierung und Armee tun?
Man kann das zum Teil verstehen, wenn man sich die Umfragewerte im Wahlkampf ansieht. Da legen die Koalitionäre Kadima- und Arbeitspartei, im Moment durchaus zu, vor allem steht Verteidigungsminister Barak besser da als zuvor. Zweitens glaube ich, man wollte die Operation Gegossenes Blei unbedingt vor dem Amtsantritt Obamas stattfinden lassen, um auf das Plazet eines nicht mehr besonders handlungsfähigen Präsidenten zu setzen, der sowieso mit Israel sympathisiert. Man darf von Obama nicht unbedingt eine israelkritische Politik erwarten, aber ein Unsicherheitsfaktor ist er für Olmert und Livni schon. Dann ist es natürlich auch so, dass es in Israel einen erheblich innenpolitischen Druck gibt, irgendetwas zu tun, wenn es für Teile Südisraels diesen Raketenbeschuss gibt. Das müssen nicht immer vernünftige Taten, das können auch Ersatzhandlungen sein, die nichts lösen, der Regierung aber gestatten zu zeigen, dass sie nicht untätig bleibt. Dass man den Beschuss stoppen kann, glaubt die Armee in Wirklichkeit selbst nicht, dazu gibt es entsprechende Äußerungen. Man hatte man Gazastreifen von 1967 bis 2005 über 38 Jahre besetzt und konnte solche Entwicklungen nicht ausschließen.
Wie kann man das Problem lösen?
Nur politisch, nur durch Verhandlungen.
Das Gespräch führte Lutz Herden
Jochen Hippler ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Entwicklung und Frieden (INEF) an der Uni Duisburg und forscht schwerpunktmäßig im Bereich Internationale Politik (www.jochen-hippler.de).
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