Die Richter und das jugoslawische Virus

Karlsruher Urteil Das Bundesverfassungsgericht billigt die Euro-Rettung und stärkt das Parlament. Das darf einer überzogenen nationalen Interessenpflege keinen Vorschub leisten

Wenn die Europa-Lobby in Deutschland derzeit schrumpft, ist zumindest nicht das Bundesverfassungsgericht schuld. Es hat europafreundlich entschieden. Die bisherigen Versuche, die Eurozone zu retten, hat es gebilligt. Aber konnten die Karlsruher Richter denn anders?

Verlässt Deutschland den Stabilisierungsmechanismus des Eurorettungsschirms (EFSF), hat die Währungsunion ausgespielt. Und die Europäische Union in ihrer jetzigen Verfassung und Form gleich mit. Die gemeinsame Währung ist nicht nur ihr Referenz- und Prestigeprojekt. Sie ist ein historischer Lackmustest, ob eine Integration gelingt, wenn eine gemeinsame Währung ohne gemeinsamen Staat und gemeinsame Wirtschaft auskommen soll.

Die Kläger von Karlsruhe halten das für ausgeschlossen und wollten das nationale Opfern fürs transnationale Scheitern unterbinden lassen. Dies war nur logisch, aber Logik ist in diesem Fall gleichzusetzen mit Selbstaufgabe. Das vereinte Europa ist längst nichts mehr, was man einfach tun oder lassen kann. Europa ist Pflichtübung im Interesse eigener Wohlfahrt. Hätte die Eurozone abgewirtschaftet, könnte auch das vorzügliche Ranking der deutschen Wirtschaft in diesem Verbund abgeschrieben werden. Ihre Produktivitätsvorteile als Indikator gesenkter Lohnstückkosten kann sie in einer Währungsunion ungefiltert weitergeben. Solange die existiert, kann kein Handelspartner auf die eigene Währung zurückgreifen, um sie auf- oder abzuwerten.

Das Urteil aus Karlsruhe ist erwartungsgemäß auch ein Plädoyer für die Budgethoheit des Parlaments. Nur wird dessen Gebrauch künftig von europäischen Interessen und Belangen weniger denn je zu trennen sein. Wer den freien europäischen Kapitalmarkt wollte, muss sich seinen Geschwindigkeiten, Anarchien und Unwägbarkeiten unterwerfen. Wie soll es anders sein, wenn private Gläubiger für öffentliche Haushalte zeichnen?

Bei allem Verständnis für das parlamentarische Recht auf Intervention – viele Maßnahmen in der Vergangenheit sind zu langsam, zu phlegmatisch und zu halbherzig erfolgt. Das war nicht Schuld der Legislative. Es lag vielmehr in der Verantwortung einer Exekutive, die es sich leistete, nach den innenpolitischen Effekten ihrer Euro-Politik zu schielen. Angela Merkels Zaudern beim ersten Rettungspaket für Griechenland im Mai 2010 hat dessen Gläubiger richtig in Fahrt gebracht. Es hat für ein Exempel gesorgt, wie man unsichere Kantonisten sturmreif schießt – und es dann erst recht Rettungsmaßnahmen der Euro-Partner geben muss. Egal, ob es sich um Griechenland, Irland oder Portugal handelte. Oder um Italien und Spanien handeln wird.

Der von den Verfassungsrichtern reklamierte Parlamentsvorbehalt sollte kein Einfallstor für überbordende nationale Interessenpflege sein. Die Tendenz dazu ist offensichtlich und wird an Zugkraft gewinnen, je länger die Euro-Krise dauert. Ob es um eine für alle Euroländer verbindliche Schuldenobergrenze geht, um Konditionen einer Wirtschaftsregierung oder Kriterien für die Ausgabe irgendwann doch unumgänglicher Eurobonds – hinter allem steht die Botschaft, entweder Europa wird deutscher oder hat ausgedient. Die heutige Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts darf dem nicht Vorschub leisten. Das als Conditio sine quo non des 3. Oktober 1990 geltende europäische Deutschland sollte nicht zum Zuchtmeister eines deutschen Europas werden.

Die Europäische Gemeinschaft beginnt, an die Jugoslawische Föderation nach Titos Tod zu erinnern. Als der im Mai 1982 starb, hatten die Politiker in Belgrad, Zagreb, Ljubljana, Skopje, Sarajewo, Podgorica und Prishtina noch genau acht Jahre Zeit, um zu vermeiden, dass sie als Serben, Kroaten, Slowenen, Mazedonier, Bosniaken, Montenegriner und Albaner voneinander schieden. Soviel Zeit bleibt Europa nicht.

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