Es sei „historisch“, dass sich die USA aus ihrer globalen Führerschaft zurückziehen, heißt es allenthalben. Das wäre es tatsächlich, sollte diese Demission nach oder ohne Donald Trump Bestand haben. Eine realistische Option? Oder ist damit zu rechnen, dass ein Präsident Biden den Krieg um Syrien im Namen des Westens doch noch gewinnen will, in Afghanistan aushält, statt ein Agreement mit den Taliban zu finden, um US-Militär abzuziehen, die Konfrontation mit China und Russland vorantreibt, die NATO wieder zum Referenzprojekt der eigenen Sicherheitsagenda erklärt? Eine Inventur, die sich dem internationalen Status der USA widmet, würde es unter Biden sicher geben, aber eine Revision? Und wenn, hätte sie zur Konsequenz, dass der Westen wieder geschlossener agiert, als transatlantisches Bündnis und offensive Ordnungsmacht, als System und Sinnbild? Der deutschen Außenpolitik käme das vermutlich gelegen, sie kann oder will mit den Freiräumen wenig anfangen, wie sie ein sich abwendender Anführer notgedrungen bietet, und hängt andächtig an der transatlantischen Marsch- und Lagerordnung.
Dabei stand schon vor Trump außer Frage, dass eine nach dem Kalten Krieg etablierte, westlich dominierte Weltordnung an ihre Grenzen stieß. Reihenweise hatte sie Ziele verfehlt, in Afghanistan so wenig reüssiert wie im Irak, in Syrien, in Libyen oder in der Ukraine. Liberale Demokratie und freie Marktwirtschaft jenseits der Bündnisgrenzen – quasi „out of area“ – weitgehend auf interventionistische Weise zu implementieren, geriet zur Überforderung und beschwor ein Dilemma herauf. Es wurden zwar weiter die gleichen Ziele proklamiert, doch gab es weder einen letzten Willen noch einen sicheren Weg, sie zu exekutieren. Diese Tendenz wird Joe Biden nicht umkehren, auch wenn er wieder auf mehr Homogenität des Westens achten sollte. Nur dürfte das kaum dazu führen, dass man sich beim Nuklearvertrag mit dem Iran wieder an die Lagerordnung hält. Oder die US-Botschaft von Jerusalem nach Tel Aviv zurückholt.
Vier Jahre ohne neuen Krieg
Es hat sich für die USA kaum als Nachteil erwiesen, dass Trump und seine Administration antizipiert haben, wie sehr imperiale Supermacht in einer Welt diffuser, immer weniger ideologisch aufgeladener Antagonismen und daraus resultierender Konfliktherde ausgedient hat. Trumps Glaubensbekenntnis „Make America Great Again“ hieß für ihn, dies zu erreichen, ohne Amerika in neue Kriege zu führen. Im Gegensatz zu seinen Vorgängern. Demokratische oder republikanische Präsidenten hielten das Ausspielen militärischer Kapazitäten in Konfliktsituationen für ein adäquates Verhalten. Bill Clinton beteiligte sich 1999 am NATO-Krieg gegen Serbien, George Bush ließ nach 9/11 in Afghanistan (2001) und im Irak (2003) einmarschieren, Barack Obama trieb 2011 in Libyen einen regime change durch Einsatz der Air Force voran. Trump hat darauf verzichtet, sieht man vom Raketenangriff auf einen syrischen Militärflughafen Anfang April 2017 ab.
Stattdessen schürte er als Souverän der Rücksichtslosigkeit die Rivalität mit allen, auch und besonders den Verbündeten, blieb aber stets unterhalb der Schwelle kriegerischer Risiken. Ob das auf fundierter Analytik beruhte und der Einsicht folgte, sich als globaler Warlord verschlissen zu haben, lässt sich schwer sagen. Ungeachtet dessen ist zu erkennen, dass die „historische“ mit einer kulturellen Umkehr korrespondierte, die den politischen Habitus nicht unberührt ließ. Wenn Trump auftrat, gab es drei Spiel- und Stilformen: brüskierende Anmaßung, rhetorische Eskalation sowie die provokative Praxis, erklärte Feinde näher an sich heranzulassen als mutmaßliche Freunde. Waren Letztere schockiert, umso besser. Die Vorlieben des auf Schmähung versessenen Scharfmachers, der innenpolitische Gegner unerschrocken beleidigte, schienen auch für die Außenpolitik als Marke und Muster geschätzt. Doch Vorsicht mit dem leichtfertigen Urteil, damit sei der „Wahnsinn“ zur Methode erhoben, wenn es sich ebenso um eine „Wahnsinnsmethode“ handeln könnte.
Noch im August 2017 drohte Trump Nordkorea mit „Feuer, Wut und Macht, wie es die Welt so noch nicht gesehen hat“ (rhetorische Eskalation), um dann gleich dreimal Staatschef Kim Jong-un (der Feind als Freund) zu treffen. Erst in Singapur und Hanoi, schließlich auf der Rückreise vom G20-Treffen in Osaka Ende Juni 2019, und das am 38. Breitengrad. An einer Staats- und Systemgrenze, die in der Welt von heute ihresgleichen sucht, betrat Trump als erster US-Präsident nordkoreanischen Boden, um Kim die Hand zu geben. Die Symbolik war die Substanz der Begegnung, alles andere zweitrangig. Die Geste des gespielten Einvernehmens wird überlagern, was künftige US-Präsidenten gegenüber Nordkorea unternehmen oder unterlassen.
Selbst wenn Pjöngjang nach wie vor auf atomarer Selbstverteidigung beharrt, steht Trump mit seiner Gipfeldiplomatie nicht mit leeren Händen da. Die sterblichen Überreste von im Koreakrieg (1950 – 1953) gefallenen US-Soldaten wurden heimgeführt, dazu Gespräche zwischen Nord und Süd belebt, ohne dass die USA den südkoreanischen Staatschef Moon Jae-in als abtrünnigen Traumtänzer tadeln konnten. Trump hat den Umgang mit Nordkorea nicht normalisiert, sondern personifiziert, was ein konfrontatives Verhältnis mit nach oben offener Eskalationsskala entkrampfen half, vorerst zumindest. Er tat das für sich, um Amerika zu dienen, und diente Amerika, indem er sich nützte. Auch darin spiegelte sich ein obsessives Verständnis nationaler Interessen, das von Eigennutz viel, von Bündnispflicht wenig hielt. Er bedachte eine anarchische Welt mit einer egomanischen Antwort, der man nicht bestreiten kann, dass sie höchst amerikanisch ausgefallen ist.
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