Wie ein Rittmeister im 19. Jahrhundert führe er seine „Kavallerie der Jasager und Hofschranze über die Felder" und rühme seine Entscheidungsfreude, schmähte einst Ex-Premier de Villepin die aus seiner Sicht zweifelhafte Regierungskunst des Nicolas Sarkozy. Die ist in diesen Tagen über alle Maßen gefordert, seit schwindende Kreditwürdigkeit des französischen Staates vom ketzerischen Gerücht zur realen Gefahr wurde. Wenn der Präsident morgen mit der deutschen Kanzlerin über Eurobonds verhandelt, wird er das nicht allein tun, um dem großen Ganzen der Währungsunion zu dienen. Auch in eigener Sache muss Sarkozy "über die Felder" ziehen. Er darf nicht aufgeben wie bei seiner Idee von der allgemeinen Bankenabgabe. Sie sollte die Hauptgläubiger der EU-Großschuldner bei einer Umschuldung aus der alleinigen Tribut-Pflicht nehmen. Das aber wurde ihm am 20. Juli beim letzten deutsch-französischen Gipfel in Berlin ausgeredet – dass eine solche Sondersteuer für alle die in Italien, Spanien oder Portugal heftig engagierten französischen Finanzinstitute schonen sollte, schien zu offensichtlich, als dass sich dieser Ablass als Dienst an der Eurozone schön reden ließ. Angela Merkel fiel offenbar leicht, Sarkozy die Idee auszureden.
Inzwischen allerdings muss die deutsche Kanzlerin zusehen, wie Frankreich doch eigene Wege geht, seit es zu den vier Euroländern gehört, die Leerverkäufe an den Aktienmärkten vorübergehend verbieten. Als sich Paris dazu entschlossen hatte, folgten Belgien, Spanien und Italien sofort. Nicht aber Deutschland. Einmal mehr wird den anstehenden deutsch-französischen Gipfel die Gewissheit überlagern, dass Berlin und Paris allen Schwüren zum Trotz nur noch selten Gemeinschaftswerke vollbringen. Ob sie das nun wollen oder nicht – sie vermögen es immer weniger. Ebenso gut könnte man einen Suppenteller mit dem Messer auslöffeln. Die Ökonomien beider Länder driften ebenso weit auseinander wie die Koordinatensysteme ihrer Spitzenpolitiker, deren Temperament, Charisma und Programmatik. Sarkozy will Eurobonds, Merkel lehnt sie im Namen ihres Finanzministers ab, um sie wahrscheinlich irgendwann doch abzusegnen. Aber wird es helfen?
Die Politik kann sich des Effekts ihrer Taten längst nicht mehr sicher sein, auch wenn sie Tatkraft demonstriert – oder genau das unterlässt. Was Merkel und Sarkozy morgen in Paris auch immer beschließen, sie wissen nicht, ob sie gerade als Krisenbeschleuniger taugen oder temporär das Gegenteil bewirken. Wozu führt forscher Aktionismus, wie ihn der französische Präsident bevorzugt, weil er das seinem Ego und einem Wahltermin im Jahr 2012 schuldig glaubt? Wozu geduldiges Abwarten wie bei der deutschen Kanzlerin, die beim Kurssturz an den Börsen im Urlaub blieb, weil sie sich dort besser aufgehoben fühlte und es vermutlich war? Wenn sich Politik in diesem Maße mit verbundenen Augen durch die Gegend tastet und versklavt ist – nicht durch Finanzmärkte, sondern die dort wirkenden Akteure – , hat auch jedes deutsch-französische Kerneuropäertum seine Disziplinierungs- und Steuerungskraft für die 27-Staaten-Community eingebüßt. Die beiden Führungsmächte der EU können weniger denn je auf minimalistischer Basis die Politische Union ersetzen oder simulieren, die der Währungsunion von Anfang an – heute besonders schmerzhaft – fehlt.
Es ist eine der hervorragendsten Eigenschaften des Publikums dieser Zustände, sich davon nach Herzenslust und -frust bestechen zu lassen und unbeirrt an die Lebens- und Strahlkraft der bürgerlichen Demokratie zu glauben. Das beschäftigungstherapeutische Ferment dieser Gläubigkeit gewinnt noch an Wirkung, je weniger dieselbe den Realitäten zu nahe kommt oder gar zusetzt.
Kommentare 6
Mit der Gabel löffelt's sich noch besser !
Eurobond - Frankreich, Belgien, Spanien und Italien wie hättet Ihr's denn gerne geschüttelt (sofort) oder gerührt (erst nach Neuwahlen in Deutschland / Regierung ohne FDP) ?
Wer das Volk finanziell bluten lässt, wird es auch real bluten lassen
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Die Erkenntnis, dass die Politik in den Fängen der Finanzwirtschaft ist, verbreitet sich. Ich verweise auf den Aufsehen erregenden Beitrag von Frank Schirrmacher in der Frankfurter Allgemeinen und das dortige Forum, auf den Basisartikel des konservativen Publizisten Moore im britischen Telegraf und auf einen Kommentar von Michael Spreng, früher einmal Berater von Stoiber. Offenbar setzt sich die Erkenntnis durch, dass die Finanzwirtschaft die Politik bestimmt und auf diese Weise weltweit uns Steuerzahler für ihre Abenteuer bezahlen lässt. Albrecht Müller/www.nachdenkseiten.de
Michael Sprengs letzter Absatz lautet:
„Die neue Weltfinanzkrise und die drohende Rezession haben für ganz kurze Zeit das Fenster geöffnet, der Finanzindustrie die Weltherrschaft noch zu entreißen. Wenn die Regierungen, wenn die Politik von der EU, über G 8 bis zu G 20 diese Chance verstreichen lassen und jetzt immer noch keine radikalen Konsequenzen ziehen, dann beschwören sie eine Weltkrise der Demokratien herauf. Dann werden “Die Empörten” vor jedem Regierungssitz stehen und nicht nur in London die Straßen brennen. Es ist 5 Sekunden vor zwölf.“
Dass die Empörten vor die Regierungssitze ziehen, dass es angesichts der Abhängigkeit der Politik von sehr großen Interessen und angesichts der Ausbeutung der Mehrheit durch die finanzstarke und politisch starke Minderheit zur Empörung, zu Protesten, zum Widerstand und sogar zu Aufständen kommt, ist die Hoffnung vieler auf der linken Seite der politischen Szene. Das Grundgesetz gibt sogar das Recht zum Widerstand, wenn die Grundrechte bedroht sind, auch wenn die Sozialstaatlichkeit bedroht ist, was nun partout nicht zu leugnen ist.
Es ist eine spannende und zugleich sehr ernste Frage, wie die herrschenden Kreise auf den Widerstand reagieren werden. Wer an die Gültigkeit von guten konservativen Werten glaubt, wer auf das rechtsstaatliche Gewissen der herrschenden Kreise und auf einen wirksamen Rest an demokratischem Bewusstsein vertraut, wird darauf bauen, dass die herrschenden Kreise im Ernstfall rechtsstaatlich und nicht andeutungsweise so reagieren wie der syrische Präsident.
Ich bin dessen nicht sicher. Wer so zulangt, wie die Finanzwirtschaft beim Steuerzahler zugelangt hat, wer so viel zu verlieren hat wie die Superreichen, wird auch bei uns bereit sein, seine Privilegien mit allen Mitteln zu verteidigen. Wie das geht, konnten wir und können wir in Großbritannien sehen:
■Der Protest wird kriminalisiert. Dafür gibt es immer berechtigten Anlass, weil sich unter die Demokraten, die empört sind und Widerstand leisten, immer auch solche Menschen, die man als kriminell bezeichnen könnte, mischen.
■Der Protest wird gespalten. Auch das ist relativ leicht, wie man in Großbritannien sehen konnte und kann. Es ist nicht schwierig, jene, denen es ganz miserabel geht, gegen Ladenbesitzer und Mittelständler in Stellung zu bringen.
■Mithilfe der verfügbaren Medien wird Stimmung gegen den Protest gemacht. Hart durchzugreifen wird populär. In Großbritannien können wir mit Spannung beobachten, ob der Bruch der herrschenden Kreise mit dem Medienunternehmer Murdoch bestehen bleibt oder angesichts des Aufstands der Straße gekittet wird. Bei uns werden die Bild-Zeitung und das Fernsehen und der Spiegel und viele Medien mehr sich gegen jene wenden, die „fünf Minuten vor 12“ vor dem Kanzleramt oder dem Reichstag protestieren. Den riesigen Einfluss der Finanzwirtschaft können wir zur Zeit jeden Abend in den Fernsehsendungen bestaunen. Da wird, so als sei nichts geschehen, Stimmung für Spekulation und Aktienmärkte gemacht. Ein untrügliches Indiz für die Verwobenheit dieser Medien mit den Interessen der Finanzwirtschaft.
■Das polizeiliche Potenzial wird ausgebaut und steht zur Verfügung. Der Angriff mit den Wasserwerfern in Stuttgart und die Weigerung der politisch Verantwortlichen, sich für die Verletzung eines älteren Menschen zu entschuldigen, sind Zeichen für die zu erwartende Brutalität.
Mit diesen pessimistischen Bemerkungen soll nicht gegen den Protest Stimmung gemacht, sondern für eine realistische Einschätzung geworben werden:
Es ist wichtig, die vermutliche Reaktion der herrschenden Kreise vorher zusagen, auch um die Spaltungstendenz zu unterlaufen.
Es ist wichtig, die Rolle der sich gegen den Protest engagierenden Medien genau zu sehen und vorher zusagen, was sie im Ernstfall zur Verteidigung der Privilegien der herrschenden Finanzwirtschaft tun werden.
Es ist auch wichtig, Brücken zu schlagen zwischen den empörten fortschrittlichen Kreisen und den empörten wertkonservativ orientierten Kreisen. Sie haben ein großes gemeinsames Interesse. Und es geht um so viel, nämlich um die Erhaltung eines Restes von Demokratie, Sozialstaatlichkeit und Rechtsstaatlichkeit, dass sonstige ideologische Differenzen an Bedeutung verlieren.
Quelle: nachdenkseiten
"Es ist auch wichtig, Brücken zu schlagen zwischen den empörten fortschrittlichen Kreisen und den empörten wertkonservativ orientierten Kreisen. Sie haben ein großes gemeinsames Interesse. Und es geht um so viel, nämlich um die Erhaltung eines Restes von Demokratie, Sozialstaatlichkeit und Rechtsstaatlichkeit, dass sonstige ideologische Differenzen an Bedeutung verlieren. "
Das ist vielleicht sogar die einzige Chance, den nötigen Wandel gewaltfrei durchzuführen.
Allerdings bin ich bereits vorgewarnt. Die Entwicklung in den USA, speziell die tea-party-bewegung, zeigen mir, wie einfach mit Geld, mehr Geld und noch mehr Geld politische Meinungsprozesse regelrecht aus dem Nichts geschaffen werden. Naja, nicht ganz aus dem Nichts: es werden Tausende „think-tanks“ bezahlt, Dorffeste organisiert, Fernsehsender gekauft, und ist euch schon mal aufgefallen, dass die meisten Frauen, die im US-Fernsehen ultra-marktrechte und radikale Standpunkte vertreten, so aussehen, als hätten sie gerade einen Schönheitswettbewerb gewonnen ?
Spaltung, Ablenkung und Verdrehung von Definitionen, egal wo man hin sieht. George Orwell hatte eine verflucht gute Vision. Wir sehen vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr.
Und als Pragmatiker und Realist schaut man in die Geschichtsbücher; die Konklusionen sind jedoch dunkel: ohne Bürgeraufstand mit Toten und Verletzten läuft fast gar nichts. So einfach ist das. Natürlich könnte man argumentieren, dass wir keine Tiere sind, und dass wir eigentlich diese Probleme auch friedlich lösen könnten, als intelligente Menschen und so. Eigentlich schon, natürlich, bin ich schon immer dafür gewesen.
Aber:
Während wir hier über friedliche Maßnahmen diskutieren, macht sich in der gleichen Zeit eine radikale und gut bezahlte Denkfabrik bereits darüber Gedanken, wie man unsere Argumente verdreht und gegen uns selbst richtet.
Während wir über Gemeinsames vorgehen nachdenken, konfrontieren uns die konservativen Medien mit unseren Unterschieden.
Während wir immer mehr zurück weichen, demokratische Werte, soziale Gleichheit, bürgerliche Ordnung aufgeben, verlangen die Finanz-Eliten „notwendige Opfer“ von uns.
Und wir sind schon seit gut 30 Jahren ordentlich am verlieren.
Ich habe der Gewalt abgeschworen, mit Rhetorik kommt sehr viel weiter. Aber wenn ich jedes Mal, wenn ich mit Ideologien der heutigen Eliten konfrontiert werde, einsehen muss, dass ich schon wieder nur übervorteilt werde, dann kommt mir irgendwann doch die Kotze hoch. Und was ich dann empfinde ist Fassungslosigkeit und Wut.
Und als nächstes folgen dann in der Regel Rachegelüste.
Mit zivilisierten Methoden kommt man gegen diese Obrigkeit wahrscheinlich nicht an. Wenn diese Plutokraten bereit wären auf die Wünsche des einfachen Volkes einzugehen, dann würden sie wenigstens diese grässliche Propaganda (siehe Fox-News) zurückschrauben. Das Gegenteil ist der Fall.
Ich habe letztes Jahr einen Professor für Wirtschaftethik kennen gelernt. In Köln. Ein richtig netter Kerl war das. Und als wir dann so schön zu zweit in der Sauna saßen, fragte ich ihn Folgendes: „Sagen Sie mir, Herr Professor, diese Plutokraten, wieso schlachten sie den Wohlstand des kleinen Mannes wie ein Stück Vieh ab? Ja, wissen die nicht dass ihr eigener Reichtum aus der Kraft der Masse resultiert? Die sägen sich doch den Ast ab auf dem sie sitzen. „
„Nein, nein“ antwortete der Professor „so denken diese Menschen nicht. Sie sind davon überzeugt, dass sie noch viel mehr Viecher im Stahl haben. Das eine oder andere Vieh fällt da nicht ins Gewicht.“
Na das war Klartext. Dafür bin ich dem Professor bis heute dankbar.
Und jetzt sagen Sie mir bitte wie man gegen solche Menschen, die dazu noch viel Geld und Einfluss besitzen vorgehen soll? Mit einem Blumenstrauß und Lächeln ? Wahrscheinlich.
Ich will keinen Krieg, ich bin gegen Gewalt, aber ich bin kein Stück Vieh. Und Demokratie hat durchaus das Recht sich zu wehren. Ende und aus.
sind Euro-Bonds etwas anderes als eine etwas größer dimensionierte Variante der altbekannten Maxime "Gewinne privatisieren, Verluste sozialisieren"? Jetzt also "Gewinne nationalisieren, Verluste europäisieren"?
Eher scheint es derzeit €uropas Mehrheiten darum zu gehen, zur Schuldentilgung per Eurobonds bisherige deutsche Gewinne zu europäisieren, die auf anderer Länder Kosten auch per Sozialdumping angehäuft wurden. Der Abbau sozialer Erungenschaften in Deutschland (Arbeitslosengeld, Hartz4 usw.) hielt Deutschland weit oben, weltweit, weil seit zig-Jahren auch Reallohnzuwächse ausblieben, anders als sonstwo in €uropa.
Nun also Eurobonds. Ein notwendiges Rollback innerhalb der Eurozone, von unten nach oben, von Griechenland hoch bis Deutschland.
Alle dabei entstehenden Verluste werden selbstverständlich sozialisiert.
€uropaweit. Es sei denn, man wehrt sich.
Vor wenigen Wochen, als nach einem der diversen Treffen von Merkelanti und Sarko-de-funes war schon mal gejubelt worden, jetzt haben wir alles im Griff, wie im Übrigen bei den davor gewesenen Treffen auch. Mithin sollten wir spekulieren, wann ein neues Treffen fällig wird, 2 Monate oder kürzer.
Das Ganze mutet wie das bekannte Hase/Igel Rennen an, wo der/die Igel jeweils dem heranrasenden Hasen entgegen riefen: "Ick bin all hier" Wann fallen denn endlich diese beiden Häschen. Es ist nur unsäglich, wie sie sich von Treffen zu Treffen hangeln und doch nichts zustande bringen, die den Primat der Politik begründen würde.