Die Urangst gärt

Angelika Beer und die Realpolitik Warum deutsche Soldaten nach Bagdad sollen

Könnte es möglich sein, dass die Amerikaner der UNO im Irak mehr Kompetenzen zugestehen, um sich als ausgelaugte Kreuzfahrer für eine gewisse Zeit regenerieren zu können? Diese Frage ist nach den Anschlägen der vergangenen Wochen - besonders dem Attentat von Nadschaf - durchaus naheliegend. Sie offenbart allerdings ein Politikverständnis, das Realitäten gern durch Wunschdenken zügelt. Der Zwillingsbruder dieser Frage verschaffte sich am Vorabend des Irak-Feldzuges Gehör: Sollte man nicht davon ausgehen, dass dieser Krieg ausfällt, weil sich George Bush durch die UNO, den deutschen Kanzler und Millionen Friedenskämpfer weltweit zur Räson gebracht sieht?

Vielleicht kann die Parteipolitikerin Beer - die Anhängerschaft vor Augen - solcherart Bekennermut ein Lächeln nicht versagen. Als Realpolitikerin ist die Grünen-Vorsitzende weniger auf Hoffen und Glauben aus, sie will nun prüfen, ob man nicht doch deutsche Soldaten in den Irak schicken kann. Mit einem UN-Mandat, versteht sich. Das soll nach einer conditio sine qua non klingen und ist es auch, allerdings anders als Frau Beer ihrem Publikum einredet, denn dieses Mandat wird es früher oder später wirklich geben.

Als Realpolitikerin weiß sie, die USA haben sich mit dem Irak-Feldzug nicht nur neben, sondern über das Völkerrecht und die UN-Charta gestellt - und das in mehrfacher Hinsicht. Man hat einen Präventivkrieg geführt - und es ist nirgendwo verbürgt, ob George Bush dessen Nichtmandatierung durch einen Teil des Sicherheitsrates wirklich als politische Niederlage empfand wie zuweilen in zweckoptimistisch-"alteuropäischer" Verklärung behauptet. Er könnte die Verweigerung auch als Lackmustest für einen imperialen Anspruch gedeutet haben, der genau genommen nur dann etwas wert ist, wenn er gegen die UNO durchgesetzt wird. Amerika hat weiterhin gezeigt, wie das Recht zum Präventivkrieg wahrgenommen und ein Staat zerstört wird. Amerika billigt sich für dieses Verbrechen Straffreiheit zu, denn der Internationale Strafgerichtshof wird nicht anerkannt, was die Staatengemeinschaft - ohne über Sanktionen wenigstens laut nachzudenken - stillschweigend akzeptiert. Amerika trifft Vorsorge für den nächsten Präventivkrieg, indem es sich für seine Rüstung - die chemische, biologische und nukleare - völlige Vertragsfreiheit zubilligt, um seinen militärtechnologischen Vorsprung nicht zu gefährden.

Nach diesen Normen funktioniert eine Weltordnung, die den Irak zur Kolonie degradiert. Wird sich daran etwas ändern, wenn die UNO ein neues Mandat hervorzaubert? Wann ist sie am Zug? Wenn in Bagdad aus optischen Gründen ein UN-General aus Nigeria das Kommando führt oder aus praktischen doch besser ein US-General am Ruder bleibt, weil der die Lage kennt?

Im Klartext fragt Beer daher nicht: Sollten wir deutsche Soldaten in den Irak schicken, wenn es ein UN-Mandat gibt? Sie fragt: Können wir es zulassen, dass die Amerikaner dort unten noch länger Prestige verspielen. Wird nicht die ganze Innung blamiert? Nimmt nicht "der Westen" überhaupt Schaden? Sein Hang zum Demokratie-Export, seine zivilisatorische Mission, seine Sprechblasen und Weihrauchkanonen, seine narzisstische Hochkultur - alles von einer explodierenden Gewaltshow in den Orkus getreten. Und dann geht auch noch ständig das Licht aus.

In Beer gärt die Urangst, die Leute - in diesem Fall die Iraker - könnten wirklich begreifen, was mit ihnen geschieht. Als Kronzeugen dafür, dass folglich Hilfe zur Selbsthilfe gefragt ist, kann sie ihren Parteipatriarchen aufrufen. Außenminister Fischer gegenüber Außenminister Powell während seines USA-Besuch im Juli: "Es ist mutig, dass sich die amerikanische Regierung so stark im Nahen Osten engagiert, und wir freuen uns, dass sie ihren Platz an der Fahrerseite wieder eingenommen hat." Dieses Lob versichert sich - offenbar blind vor Demut - eines Wahrnehmungsfehlers: Das Steuer gaben die Amerikaner nie aus der Hand, allerdings schien der "Platz an der Fahrerseite" zeitweilig verwaist, das muss - das soll nicht so bleiben, verspricht Frau Beer.

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