Die Welt ging und kam nie mehr zurück

Somalia Wie aus einem scheiternden ein gescheiterter Staat wurde

Kenia, der Austragungsort des VII. Weltsozialforums, ist zugleich Frontstaat eines afrikanischen Regionalkonflikts. Im Dezember 2006 hat die äthiopische Armee - politisch unterstützt von den USA - große Teile des Nachbarn Somalia besetzt. Für die Bush-Regierung gilt dieses Land seit Jahren als Rückzugsraum von al Qaida und als einer der so genannten Failed States - der gescheiterten Staaten.

Rettung aus höchster Not ist versprochen, als im Dezember 1992 die United Nations Operation in Somalia (UNOSOM) beginnt. US-Marines landen am Strand von Mogadischu, die Welt darf staunen und zuschauen. Das mit dem Golfkrieg gegen den Irak 1991 zum medialen Global Player aufgestiegene US-Network CNN leidet kurz vor Weihnachten unter einer nachrichtenarmen Zeit. Was liegt näher, als sie mit einigen Direktübertragungen aus einer ostafrikanischen Chaos-Republik anzureichern? Immerhin entsteigt das US-Marinekorps dem Indischen Ozean, um für die erste "humanitäre Intervention" auf dem Schwarzen Kontinent ins Landesinnere vorzurücken, geführt von der eigenen Generalität. Denn UNOSOM steht unter dem Oberkommando der Vereinigten Staaten - 30.000 Soldaten aus 20 Nationen (darunter die Bundeswehr) sollen dreieinhalb Millionen Somalis von Bürgerkrieg, Anarchie und Hunger befreien.

Doch die Mission scheitert, als der letzte UNOSOM-Soldat im März 1995 Somalia wieder verlässt, bleiben dreieinhalb Millionen Menschen zurück - nun erst recht Bürgerkrieg und Anarchie überlassen. Lediglich eine 1992 drohende Hungersnot scheint für den größten Teil des Landes gebannt.

Was zwischendurch geschieht, gerät zum Paradigma, wie einem Staat, der ohnehin nur ein Schattendasein fristet, der Todesstoß versetzt werden kann. Es gibt danach noch manch andere "humanitäre Intervention" - der Fall Somalia aber lässt bereits erkennen, was derartigen Operationen nahezu ausnahmslos zum Verhängnis werden soll: Wer bei einer militärischen Friedensstiftung neben ziviler Hilfe auch eine politische Ordnung nach westlichem Muster durchsetzen will, findet sich schnell in einem Himmelfahrtskommando wieder. Viel spricht dafür, dass Somalia ab Mitte der neunziger Jahre vom Westen abgeschrieben wird, weil es diese Lektion zu verdrängen gilt. Somalia findet sich fortan unter dem Aktenzeichen Failed State abgelegt - gleich neben dem Sudan, Syrien, Nordkorea und dem damals noch nicht rehabilitierten Libyen des Mummar al-Ghaddafi. Ein vergessenswerter Outlaw, vorerst für keine "humanitäre Intervention der Staatengemeinschaft" mehr vorgesehen.

Allenfalls kommt eine Aggression des ambitionierten Lokalmatadors Äthiopien in Betracht, wie die vergangenen Wochen zeigen. Dem äthiopischen Premier Meles Zenawi missfällt freilich das böse Wort vom Eroberer. Schließlich hat seine Armee lediglich ein Territorium besetzt, auf dem es doch längst keinen Staat mehr gibt. Auch ist sie ausgezogen, um der islamistischen Hydra am Horn von Afrika - sprich: den Kämpfern der Union der Islamischen Gerichte (UIC) - den einen oder anderen Kopf abzuschlagen. Eine Aggression entlang der "Achse des Guten" also, die Bush-Regierung sieht es mit Freude und applaudiert.

Doch zurück in das Jahr 1992. Als die von der US-Armee geführte UN-Operation in Somalia ihren Anfang nimmt, gibt es dort keine Armee und keine handlungsfähige Regierung mehr. Es gibt nur Autoritäten, die sich auf Clans stützen, denn die politische Kultur des Landes ist seit jeher antiautoritär - der britische Ethnologe Ioan Lewis hat einst von einer "Hirten-Demokratie" gesprochen, weil die teils nomadisierenden Clans nie bemüht schienen, über ihre lokale Stabilität hinaus einem übergeordneten Staat näher zu treten. Insofern ist die Republik Somalia, wie sie 1960 im Sog eines kontinentalen Unabhängigkeitstrends ausgerufen wird, ein Bruch mit der kulturellen Identität der somalischen Volksgruppen und eine Art Nachlass der Kolonialmächte Italien und Großbritannien, die kurz vor ihrem Abgang unter einem Dach zusammenbringen, was nicht zusammengehört.

Im Jahr 1992 jedoch wird von den westlichen Staaten, vorrangig den USA, in bornierter Ignoranz darauf bestanden, Somalia genau das zu verordnen, was man bestens kennt und für das Beste hält: einen Staat nach europäischem Muster - Export eines hochkarätigen Zivilisationsgutes, als sei die koloniale Ära noch längst nicht vorbei. Weil es keinen somalischen Staat gäbe, heißt es, würden beispielsweise 80 Prozent der internationalen Lebensmittelhilfe für das am Abgrund einer Hungersnot taumelnde Land durch Banden und marodierende Familienclans geraubt. Auch wenn das Internationale Rote Kreuz (IRK) dementiert und die Verlustrate auf höchstens 15 Prozent beziffert - es soll wenig nützen. Der humanitäre Zweck bietet ein willkommenes Vehikel für eine Intervention neuen Typs. Die Vereinten Nationen erteilen den Auftrag, nicht nur Frieden zu wahren (Peace keeping), sondern mit Waffengewalt Frieden zu erzwingen (Peace making). Der kurz vor seinem Auszug aus dem Weißen Haus stehende George Bush senior erinnert sich der Armen und Bedrängten am Horn von Afrika und befürwortet die Operation Restore Hope ausdrücklich. Menschenleben retten und nebenbei für Ordnung sorgen. Somalia scheint der ideale Testfall, um die Frage zu beantworten, ob sich dysfunktionale Staaten durch funktionierende, von außen gesteuerte Protektorate ersetzen lassen, aus denen irgendwann wieder ein Staat hervorgeht. Man geht nassforsch zu Werke, als gelte es, einen Impfstoff an einem wilden Tier auszuprobieren. Das Tier freilich wehrt sich, besonders die Milizen des Mohamed Farah Aidid, der sich zusammen mit anderen Warlords den als Besatzungsmacht empfundenen fremden Truppen entgegenstellt. Aidids Kombattanten holen nicht nur zum Guerilla-Krieg aus, sondern suchen auch die Zweckallianz mit bewaffneten Jihad-Kämpfern, die ihre Klientel in ganz Ostafrika rekrutieren.

Als am 3. Oktober 1993 eine US-Eliteeinheit in Mogadischu in einen Hinterhalt gerät, die Leichen getöteter Amerikaner durch die Straßen geschleift werden und CNN wiederum fast live dabei ist, begreift Präsident Clinton, welches Danaergeschenk ihm sein Vorgänger hinterlassen hat. Ein halbes Jahr später, am 31. März 1994, verlässt der letzte US-Soldat somalisches Gebiet, während das restliche UNOSOM-Korps noch ein Jahr ausharrt.

Aidid feiert sich danach als Befreier von der Fremdherrschaft und verkörpert nun um so mehr die alte (dezentrale) Ordnungsmacht. Als Kriegsbeute nimmt er sich, was vom somalischen Staat an Resten übrig ist - der Sieger der Schlacht um Somalia fühlt sich legitimiert dazu, immerhin ist auch die kulturelle Tradition einer Region verteidigt worden. Schon bald lässt sich Aidid, den UNOSOM-Einheiten gerade noch als steckbrieflich gesuchten Paria gejagt haben, zum Präsidenten ausrufen. Aber das interessiert die hehren Missionare jenseits von Afrika längst nicht mehr.


Somalia nach dem Ende von UNOSOM

Juni 1995 - Mohamed Farah Aidid lässt sich zum Interims-Präsidenten Somalias ausrufen und setzt eine Regierung ein, der insgesamt 93 Minister angehören.

August 1996 - Aidid stirbt an den Folgen eines Attentats. Sein Sohn Hussein tritt die Nachfolge als "Präsident" Somalias und Milizenchef an; die Clan-Rivalitäten eskalieren erneut.

Januar 1997 - 26 somalische Parteien bilden in Addis Abeba einen Nationalen Heilsrat, der in Somalia die Rückkehr zur Staatlichkeit und einen nationalen Versöhnungsprozess vorantreiben soll. Hussein Aidids Somali National Alliance (SNA) kooperiert im Gegenzug mit der Al-Ittihad al-Islami, der radikalsten Formation unter den islamistischen Organisationen Somalias.

August 2000 - nach den dreimonatigen Verhandlungen einer Versöhnungskonferenz in Djibouti wird eine provisorische Regierung unter dem Präsidenten Abdikassim Salad Hassan, einem ehemaligen Minister Siad Barres, gebildet, aber nicht von allen Warlords und Clans anerkannt.

September 2004 - ein Treffen somalischer Clans und Parteien bestimmt Abdullah Yusuf zum Übergangspräsidenten, doch fehlt auch ihm die Macht, diese Funktion ausüben zu können.

Juni 2006 - die Union Islamischer Gerichte (UIC) übernimmt die Macht in Mogadischu und vertreibt die Übergangsregierung.

Dezember 2006 - äthiopische Truppen nehmen Mogadischu ein. Die UIC-Kämpfer setzen sich ab.

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