Die EU spielt Beitrittsdomino und lässt den Balkan links liegen

Meinung Wer der EU beitreten darf und wer nicht, gleicht mehr und mehr einem Spiel, bei dem Glück und Willkür eine Rolle spielen
Ausgabe 26/2022
Sterne zu vergeben, aber nur an Gewinner
Sterne zu vergeben, aber nur an Gewinner

Foto: AFP/Getty Images

Beim Anlegen fügt sich eins zum anderen. Stein für Stein passt beim Beitrittsdomino, das auf dem jüngsten EU-Gipfel mit Hingabe gespielt wird und schnell entschieden ist. Griechenland macht den Anfang und bringt seine Aversion gegen den Bewerber Nordmazedonien auf den Tisch. Dies geschieht in weiser Voraussicht darauf, welcher Stein Bulgariens dazu passen könnte. Und siehe, er passt und kündet vom falschen Geschichtsbild der Nordmazedonier. Ohne Eingeständnis, keine eigene, sondern Teil der bulgarischen Nation zu sein, hätten sie in der EU nichts zu suchen.

Prompt ist die EU als solche am Zug und platziert einen Stein, um daran zu erinnern, dass die Beitrittsanträge Nordmazedoniens und Albaniens nur gekoppelt, nicht getrennt verhandelt würden. Da sei die Abmachung, beide oder keiner. Was Bosnien-Herzegowina nach dem Motto „Wenn nicht die, dann wir“ als Aufforderung versteht, in die Bresche zu springen und sein Spielglück zu versuchen. Seit 27 Jahren in Frieden lebend, müsse man doch den Vorzug vor der im Krieg stehenden Ukraine erhalten. Wie kann sich ein Spieler erkühnen, derart gegen die Regeln zu verstoßen? Österreich, Portugal und die Niederlande fordern sofortigen Ausschluss. Ansonsten kämen sie auf ihren Kandidatenvorbehalt zurück, der bis eben noch der Ukraine galt. Spielführer EU – bebend vor Entschlusskraft – weiß, was jetzt nottut.

Alle sechs Westbalkan-Staaten werden aus dem Spiel genommen. Ob sie jemals wieder reindürfen, ist ungewiss. Albaniens Premier Edi Rama trägt’s mit Fassungslosigkeit und verschenkt an unwürdige Ohren eine unverwüstliches Gleichnis: Solche EU-Treffen erschienen ihm wie „eine Versammlung von Priestern, die über das Geschlecht der Engel diskutieren, während die Mauern von Konstantinopel einstürzen“.

Vermutlich soll das eine Anspielung sein auf den Fall der Stadt am Bosporus, die 1453 von einem starken osmanischen Heer überrannt und geschleift worden ist. Freilich kann die Analogie eines Bittstellers, der zum Kostgänger aufsteigen will, nicht viel ausrichten. Wie kann eine EU der Domino-, demnächst vielleicht Hütchenspieler verstehen, was er meint?

Einmal müssen die Beitrittswilligen doch begreifen, mit wem sie sich eingelassen haben, und die Flucht ergreifen.

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Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur „Politik“, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen. Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zum Freitag. Dort arbeitete es von 1996 bis 2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

Lutz Herden

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