Dirk Niebel ausgesperrt

Israel Eintrübungen am ansonsten wolkenlosen Himmel der deutsch-israelischen Beziehungen. Der Entwicklungsminister wollte die Gaza-Blockade durchbrechen und scheiterte

Die Regierung Netanyahu scheint um keinen Affront verlegen. Selbst „strategische Verbündete“ werden nicht geschont. Kaum vorstellbar, dass Außenminister Avigdor Lieberman bei der Einreisesperre für den deutschen Entwicklungshilfeminister einen Alleingang riskiert hat. Es riecht nach Revanche des Kabinetts in Jerusalem für die alles in allem eher schüchterne Kritik aus dem Berliner Kanzleramt am Angriff israelischer Soldaten auf die Gaza-Hilfsflotte in internationalen Gewässern am 30. Mai. Natürlich hat Dirk Niebel gewusst, dass israelische Autoritäten wie im Affekt und damit erwartungsgemäß handeln, wenn jemand an der über Hamas und Gaza verhängten Blockade rüttelt. Sie legen Wert auf autarke Entscheidungen, die auch den willigsten Alliierten keine Privilegien bescheren.

Der Minister legte es dennoch und mehr als nur eine Spur zu bewusst darauf an, sich vorführen zu lassen. Er sollte alle Entrüstung zügeln. Wir haben verstanden, Deutschland oder auch nur Dirk Niebel verfolgt eine eigene, keine israelische Außenpolitik. Bedurfte es des Nachweises? Offenbar schon, auch wenn der FDP-Minister nur erntet, was seine Kanzlerin gesät hat.

Gewiss leidet das Einvernehmen zwischen Berlin und Jerusalem darunter, seit sich US-Präsident Obama an der israelischen Bockigkeit wund scheuert, endlich mehr für den Friedensprozess zu tun, als ihn ständig zu sabotieren. Man gibt sich reservierter, seit Benjamin Netanyahu mit dem Siedlungsbau in der Westbank wie an der Peripherie von Ost-Jerusalem die Zwei-Staaten-Lösung wie das Hirngespinst fremder Mächte behandelt. Doch hat es bisher an Ergebenheit und einseitiger Parteinahme besonders von Angela Merkel nicht gefehlt. Ihre 2008 in der Knesset gehaltene Rede strotzte von kitschigem Lob für Israel. Sie zeigte erstaunlich viel Demut gegenüber einem Staat, der seit über 40 Jahren gegen jedes internationales Recht fremdes Land besetzt. Bei ähnlichen Vorkommnissen, aber anderen Akteuren pflegt die Bundesrepublik Deutschland andere Töne anzuschlagen. Russland wird heftig wegen seiner Tschetschenien-Politik gerügt, obwohl dessen Armee die Kaukasus-Republik nicht besetzt hält, sondern sich dort auf eigenem Staatsgebiet befindet. Oder könnte sich irgendjemand vorstellen, Saddam Hussein wäre im August 1990 vorsichtig und verständnisvoll gebeten worden, doch einen Abzug aus dem von seiner Armee besetzten Kuwait zu erwägen?

Die deutsche Nahostpolitik hatte bisher so gut wie nichts daran auszusetzen, dass der Gaza-Streifen durch einen israelischen Pressverband zur Isolierstation für anderthalb Millionen Menschen verkam. Unter Bruch demokratischer Normen wurde die Legitimität einer von Hamas gebildeten Regierung nicht anerkannt. Und das, obwohl diese Partei bei den Wahlen von Anfang 2006 mit einem Stimmenanteil von mehr als 60 Prozent im Gaza-Streifen und in der Westbank alles andere als einen knappen Sieg über die Fatah feierte. Was regnet es sonst Ermahnungen aus Berlin an die Adressen Moskaus oder Pekings bitteschön der Demokratie den Respekt zu zollen, den sie verdient.

In der EU gehörte Merkel stattdessen zu den Wortführern, die nach dem Januar 2006 ein Gaza-Embargo durchsetzten, das ganz im Sinne Israels ausfiel. Es ist nur gut, dass ein randständiger Minister des Kabinetts Merkel dieses Jonglieren mit doppelten Standards offenbart, indem er sich als Opfer israelischer Reglementierung inszeniert.

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Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur „Politik“, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen. Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zum Freitag. Dort arbeitete es von 1996 bis 2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

Lutz Herden

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