Muss erst alles schlechter, dramatischer und prekärer werden, bevor die Politik angemessen reagiert? Eine Herabstufung Spaniens durch die tonangebenden Rating-Agenturen liegt seit Tagen in der Luft. Wenn die Analysten von Fitch vom Zertifikat A („sicher“) auf BBB („bedingt sicher“) wechseln, wird das Land mit seiner Kreditwürdigkeit auf einem Niveau mit Italien, Litauen und Bulgarien verortet, liegt damit nur noch eine Stufe vor Portugal, Rumänien, Lettland und Ungarn (Prädikat „spekulativ“) und zwei vor Griechenland („hochspekulativ“). Das heißt, Spanien ist reif für den Gang unter den Euro-Rettungsschirm, der mutmaßlich unmittelbar bevorsteht.
Einen noch drastischeren Bonitätsverfall hätte es geben müssen, wäre allein das Krisenmanagement des konservativen Premiers Mariano Rajoy bewertet worden. Der verzögerte die Entscheidung, Hilfen aus dem EU-Krisenfonds in Anspruch zu nehmen, seit Tagen mit fadenscheinigen Argumenten. Dabei stand längst fest, dass die wegen nicht mehr ablösbarer Immobilienkredite ins Straucheln geratenen Geldhäuser wie der Sparkassen-Konzern Bankia bis zu 100 Milliarden Euro brauchen, um nicht ins Koma zu fallen. Es war ebenso bekannt, dass der nationale Bankenrettungsfonds FROB bestenfalls mit neun Milliarden Euro dienen konnte.
Doch wurde in Madrid wieder einmal der Beweis erbracht, wie auch in diesem Stadium der Eurokrise eine Regierung ihr Überleben über das Schicksal der Währungsgemeinschaft stellt. Man kann daraus ersehen, welchen Realitätsgehalt das von der deutschen Kanzlerin abgegebene Bekenntnis zur Politischen Union hat – es bleibt appellative Semantik ohne Gebrauchswert und Überzeugungskraft.
Fässer ohne Böden
Die Regierung in Madrid hat mit einem rigiden Sparkurs längst viel von jenem politischen Kredit verspielt, der ihr bei der Parlamentswahl am 20. November eingeräumt wurde. Würde sie wegen einer möglichen Alimentierung aus dem Kapitalstock der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF) oder aus den Mitteln des kommenden Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) unter das Patronat der EU-Troika (EU-Kommission, IWF, EZB) geraten, dürfte das zu zusätzlichen Auflagen führen. Die Haushaltssouveränität wäre passé und damit der politische Restkredit dieser Exekutive.
Ministerpräsident Rajoy hat seinen Bittgang nach Brüssel nicht zuletzt deshalb verzögert, und weil er wohl hoffte: Spaniens marode Geldhäuser könnten dazu gut sein, für ein Paradigma zu sorgen, das der Präzedenzfall für eine Transferunion neuen Typs wäre – Geld aus den EU-Krisenfonds direkt in die angeschlagenen Banken zu lotsen. Zu welchen Konditionen dies geschieht, wäre im Moment fast zweitrangig. Derartige Finanztransfers müssten so oder so abgeschrieben werden. Der Rekapitalisierungsbedarf spanischer Banken dürfte wegen der Rezession im Land eher steigen als abnehmen. Außerdem wird ein „derzeit dysfunktionaler Interbankenmarkt“ (EZB-Präsident Mario Draghi) den spanischen Patienten nicht mit Notkrediten auf die Beine helfen. Fässer ohne Böden sind kein Schöpfwerk. Und den Sinn für Gewinn- und Wertschöpfung werden sich Banker nirgendwo auf der Welt abgewöhnen, bloß um einer moribunde Konkurrenz lebensrettende Maßnahmen zu gönnen. Also bliebe in der Tat nur die Euro-Rettungsmaschinerie, auch wenn eine aus der Not geborene Bankenunion einer Sturzgeburt gleichkäme.
Nicht umsonst
Bevor jedoch die EFSF und ab 1. Juli der ESM für Kredite gegen den Bankentod beansprucht werden, müssen Regeln her. Gebraucht wird ein institutionelles Gerüst, das eine mögliche europäische Bankenunion mit einer europäischen Bankenaufsicht versieht, die vergleichbare nationale Instanzen domestiziert – alles andere birgt schwer kalkulierbare Risiken. Unverzichtbar wäre zugleich a) die Bildung eines gemeinsamen Anlagensicherungsfonds aller an einer Bankenunion beteiligten Bankhäuser, um das Prinzip der kollektiven Haftung für alle Anleger zu verankern, b) ein gemeinsamer Hilfsfonds aller Institute, c) der Aufbau von Risikopuffern, um die Eigenkapitalquote aller europäischen Finanzinstitute auf neun Prozent zu heben (was sowieso am Juli Pflicht ist).
Entscheidend aber wird eine multilaterale Bankenaufsicht sein, die nicht unter dem Interessendruck nationaler Regierungen steht. Auf Deutschland bezogen hieße das, die Kompetenzen der beiden Kontrollgremien Bundesbank und Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) zu stutzen. Wer glaubt, dies sei ohne weiteres machbar, der stehe auf!
Wenn Angela Merkel eine Politischen Union der EU-Länder bzw. die Vereinigten Staaten von Europa will, dann müsste unter einem solchen Dach genau das passieren, was bislang unterblieb: in der Banken- und Finanzpolitik gilt das Primat europäischer Interessen – genau hier wird europäische Staatlichkeit durchgesetzt. Sollte Spaniens Premier als Ritter von der traurigen Gestalt, statt gegen Windmühlen-Flügel zu kämpfen, dieser Entwicklung Vorschub leisten, wäre er nicht umsonst in den Sattel gestiegen.
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