Woran dieser Gipfel krankt, liegt auf der Hand. Die Normandie-Schirmherren Deutschland und Frankreich sind keine Vermittler, sondern Partei. Sie stehen sicher nicht voll und ganz auf der Seite des derzeitigen Kiewer Staatschefs Wolodymyr Selenskyj, aber prinzipiell an der Seite eines nationalpatriotischen Lagers in der Ukraine, das seit dem Janukowitsch-Sturz vom 23. Februar 2014 einen antirussischen und prowestlichen Kurs durchsetzen will. Die Parteinahme gilt für Kanzlerin Merkel sicher mehr als für Präsident Macron.
Wie voreingenommen sich Deutschland präsentiert, bezeugt die Aufforderung von Außenminister Maas kurz vor dem Pariser Treffen. Moskau solle Konzessionen machen und ukrainische Vorleistungen honorieren. Als habe es die auf russischer Seite zuletzt nicht genauso gegeben, beim Gefangenenaustausch wie bei der Rückgabe der Ende November 2018 im Asowschen Meer aufgebrachten ukrainischen Schiffe, bei der Truppenentflechtung in der Ostukraine, dem Rückzug schwerer Waffen wie der Räumung von Minen. Wovon also redet Minister Maas?
Wollte man beiderseitiges Entgegenkommen als Zeichen des guten Willens deuten, wäre in Paris ein Konsens denkbar, der zu einem belastbaren und dauerhaften Waffenstillstand führt, wie er sei Beginn des Minsk-Prozesses im September 2014 oft versucht, aber stets misslungen ist. Auch ein – wenn man so will: finaler – Gefangenenaustausch nach der Maxime „alle gegen alle“ könnte anberaumt werden. Nur was darüber hinaus?
Die westlichen Partner der Ukraine haben bisher hingenommen, dass die Regierungen Poroschenko wie Selenskyj ignorieren, was wesentlicher Teil des Minsk-II-Agreements vom Februar 2015 war: „Eine Dezentralisierung der Macht, u.a. durch die Verabschiedung eines Gesetzes 'Über die befristete Ordnung der lokalen Selbstverwaltung in bestimmten Bezirken der Regionen Donezk und Luhansk' “, wie es im Vertragstext heißt.
Steinmeier-Formel
Mit einem Wort: Regierung und Parlament in Kiew sollten gesetzliche Vorkehrungen treffen, um eine weitgehende Autonomie für die Konfliktregion zu garantieren. Damit hier ein toter Punkt überwunden wird, kann die sogenannte „Steinmeier-Formel“ hilfreich sein. Sie besagt, dass die Ukraine den Gebieten Donezk und Luhansk zunächst einen provisorischen Sonderstatus gewährt, ehe es dort zu Lokalwahlen kommt. Bewerten Beobachter der OSZE eine solches Votum als frei, fair und demokratisch, könnte der vorläufige Sonderstatus in einen dauerhaften überführt werden. Kann, nicht muss.
Es bleibt offen: Übernehmen ukrainische Sicherheitskräfte wieder die Kontrolle an allen Grenzen des Landes oder nicht? Auch im Osten? Was geschieht mit den militärischen Formationen der „Volksrepubliken“ Donezk und Luhansk wie ihren russischen Unterstützern? Lassen sich gesonderte Wahlen innenpolitisch vertreten, wenn keine ukrainische Autorität, sondern eine externe Beobachtermission über deren Legitimität entscheidet? Ex-Präsident Poroschenko hat die Steinmeier-Formel nie öffentlich unterstützt, worin ihm Selenskyj bislang gefolgt ist. Aus gutem Grund, denn die populistische Agitation nationalpatriotischer wie ultranationalistischer Kräfte versteht sich als Kampfansage „an die Kapitulation“ heute Regierender.
Präsident Putin wird auch deshalb abwarten. Wer weiß schon, ob und wenn ja, wie durchsetzungsstark Selenskyj sein wird, wenn eine Autonomie der Ostukraine als Verfassungsrecht festzuschreiben ist. Schließlich ist Russland auf keine Okkupation des Donbass bedacht, stattdessen auf Garantien gegen das Abdriften der Ukraine in westliche Bündnissysteme wie die NATO und die EU. Es soll verhindert werden, was die NATO-Osterweiterung vollenden ließe und eine Machtprojektion bis an die Grenzen der Russischen Föderation erlauben würde.
Wird darauf verzichtet, ist wieder an einvernehmliche Nachbarschaft zwischen Moskau und Kiew zu denken. Weder Russland noch die Ukraine können es sich auf Dauer leisten, das Dasein verfeindeter Staaten zu fristen. Nur steht Präsident Selenskyj allein wegen seiner Wahlversprechen stärker unter Erfolgsdruck als sein Pendant Putin. Wer all das bedenkt und eine realistische Sicht auf das stete Fortschreiben dieses Konflikts bevorzugt, wird für den Pariser Gipfel keinen „Durchbruch“ erwarten. Worin sollten der bestehen?
Symbolische Hoheit
Wie für die Krim wird Russland Einfluss und Schutz für eine autonome Ostukraine nicht aufgeben. Sollten sich die Beziehungen zwischen Moskau und Kiew als eine Art „eurasisches Format“ normalisieren, wäre die Rückkehr zu einer symbolischen Hoheit der Ukraine über den Donbass möglich. Aber wohl nur dann, wenn durch die ukrainische Verfassung und bilaterale Verträge ein Sonderstatus der Region Donezk/Lugansk garantiert ist. So wie man sich nach dem Ende der UdSSR auf die Präsenz der russischen Schwarzmeerflotte im einst ukrainischen Sewastopol geeinigt hat – und das von 1991 bis 2014 durchhielt –, könnte ein Agreement über die Ostukraine aussehen: autonome Verwaltung, autonomes Sicherheitsregime, enge Bindung an Russland, formale Zugehörigkeit zur Ukraine.
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