Es sollte die Euro-Gemeinschaft peinlich berühren, dass sie zuletzt besonders von der US-Regierung immer ungehaltener ermahnt wurde, mit Griechenland endlich einen für alle Seiten tragfähigen Kompromiss zu finden. Die USA als Anwalt eines vereinten Europas – wann gab es das schon? In der Vergangenheit verhieß europäische Souveränität Konkurrenz zur westlichen Führungsmacht, auch wenn die reklamierte Selbstbestimmung der EU selten über Profilierungsversuche hinauskam. Allein die im Maastricht-Vertrag (1992) als Säule von mehr Integration geführte Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) blieb mehr Torso als Tatsache. Man konnte sich in Washington gelassen zurücklehnen. Je mehr sich die EU durch Neuaufnahmen überdehnte und sich mit dem Euro eine Risikowährung leistete, desto stärker litt das kollektive Handlungsvermögen. Und mit einer Emanzipation von Amerika war es nicht weit her.
Ausgerechnet jetzt
Inzwischen ist es freilich auch mit der amerikanischen Dominanz im globalen Ranking nicht mehr weit her. Es käme der Obama-Regierung höchst gelegen, wäre Europa ein potenter Partner, der nicht die Währungsunion in Verruf bringt und das Jahr 2010 heraufbeschwört, als an den Finanzmärkten – ohne deren Mitwirkung das Euro-System tot ist – schon einmal die Contenance verloren ging. Im Weißen Haus wird zudem nicht vergessen sein, wie die Bush-Regierung 2008 die Investmentbank Lehman Brothers ungebremstem Absturz überließ. Wofür es vor allem zwei Gründe gab: fehlende Kenntnis vom transkontinentalen Aktionsradius eines aggressiven Finanzkapitals, dazu das neoliberale Dogma – der Staat hält sich raus. Wie gerade die Eurokrise zeigt, leidet das Weltfinanzsystem bis heute unter jenem desaströsen Krisenmanagement. Weil wir aus Fehlern lernen, teilen wir den Europäern unser Unbehagen mit, so US-Finanzminister Jacob Lew. Er hätte auch sagen können, weil wir als führender IWF-Staat zu den Griechenland-Gläubigern zählen, fühlen wir uns zuständig.
Entscheidender für das Drängen auf eine Griechenland-Lösung dürfte indes der geopolitische Impuls Amerikas sein – Europa möge bitte schön nicht durch ökonomische Sturheit als Global Player ausfallen. Die strategische Brisanz eines „Grexits“ wäre enorm. Ausgerechnet jetzt, da den Nahen Osten als Nachbarregion der EU mehrere Bürgerkriege pflügen und die USA nur begrenzten Einfluss darauf haben, wer sich bei der Neuordnung von Staaten und Gesellschaften wie durchsetzt. In solcher Lage mit Griechenland kein Einvernehmen zu finden, würde heißen, die Welt nicht zu verstehen, in der man lebt.
Darüber hinaus wäre zu fragen, wie will eine zum Konsens unfähige EU einer Großhandels- und Finanzmacht wie China gewachsen sein, die sich etabliert? Und hat der Umgang mit Griechenland nicht zum Positionsverlust gegenüber Russland geführt? Durch den am 19. Juni zwischen Athen und Moskau geschlossenen Vertrag über den Bau einer Gaspipeline durch Griechenland verliert die Ukraine als Transitland russischer Gasausfuhren an Bedeutung und Störpotenzial. Es wäre absurd, wollte man der Tsipras-Regierung vorwerfen, dass sie in ihrer Situation ein Junktim angedeutet hat: Bündnisdisziplin in der EU wie als NATO-Staat an der Südostflanke der Allianz sollte auf mehr Konzilianz der Gläubiger stoßen. Man kann sich auch anderweitig umtun. Wer das für dreist hält, sollte an den britischen Premier David Cameron denken, der – ohne in einer vergleichbaren Notlage zu sein – aus parteitaktischem Kalkül ein Referendum über die EU-Mitgliedschaft anberaumt, dessen Ergebnis zum Rückzug aus der Gemeinschaft zwingen kann.
Bisherige Krisen hat die EU in der Regel eindämmen können, weil sie sich zu korrigieren oder mit Differenzen zu leben verstand. Als 2005 eine EU-Verfassung bei Referenden in Frankreich und den Niederlanden scheiterte, wurde eine europäische Magna Charta aufgegeben. Als wenig später der Lissabon-Vertrag in Irland durchfiel, gab es Konzessionen für Dublin, auf dass ein zweiter Abstimmungsversuch Früchte trage. Als es der Union 2003 während des Irak-Krieges nicht gelang, geschlossen aufzutreten, blieben irreversible Schäden aus.
Im Moment aber entfaltet die Agenda der Erosion eine bis dato unbekannte Dynamik, die dazu einlädt, nach der inneren Verfassung eines Staatenbundes zu fragen, der sich selbst fremd geworden scheint. Warum ist es unmöglich, eine kohärente Flüchtlingspolitik zu finden? Osteuropäische EU-Staaten verweigern sich einer Aufnahmequote und wollen nichts von dem zurückgeben, was ihnen als westeuropäischer Beistand zuteil wurde, als es um Aufnahme und Ankommen in der Gemeinschaft ging. Die Regierungen in Budapest, Warschau oder Riga strafen durch ihr Verhalten die Versicherung Lügen, den EU-Beitritt betrieben zu haben, weil sie Teil einer europäischen Einheit sein wollten. Stattdessen wird die Aufnahme von Flüchtlingen aus Angst vor nationalistischen Aufwallungen blockiert. Dagegen allerdings sind westeuropäische EU-Staaten inzwischen ebenso wenig gefeit, wenn in Frankreich, Dänemark, den Niederlanden oder Schweden rechtspopulistische Parteien im bürgerlichen Milieu wildern und anzeigen: Europa geht die politische Mitte verloren.
Nicht für die Ewigkeit
Gern wird übersehen: Das vereinte Europa ist nicht aus Überzeugung vereint, sondern von einer relevanten Schnittmenge gemeinsamer Interessen abhängig. Es entfernt sich von der Wahrheit, wer der EU – zumal als 28-Staaten-Bund – einen quasi von der Vorsehung bestimmten Fusionsdrang andichtet. Solange es Staaten gibt, beruhen solcherart Assoziationen auf nationalstaatlichen Erwägungen, denen niemand verbieten kann, auseinanderzudriften. Nichts wäre verkehrter, als das Europa der EU in einem Anflug von kosmopolitischem Idealismus als der Ewigkeit verhaftetes Integrationsmuster zu deuten. Der Konflikt um Griechenland ist Störfall und Normalfall zugleich, seit der Euro zur Konvergenz zwingt und Divergenz bewirkt.
Es ist lange gut gegangen mit den vereinigten Staaten von Europa. Durch die Eurozone und ihren Regulierungsbedarf haben sich nun aber die Nationalstaaten in einem Maße zurückgemeldet, wie man das kaum für denkbar hielt. Sie sind da – mit ihrer Budgethoheit, den sozialen Traditionen und Standards, ihren Wettbewerbsvorteilen und Wachstumssklerosen. Wer wäre nach fünf Jahren Eurokrise noch so verstiegen, die Vision von einer europäischen Föderation zu bemühen? Es gab sie, vorgetragen vom damaligen Außenminister Joseph Fischer bei einer Rede im Jahr 2000 an der Berliner Humboldt-Universität. 15 Jahre später werden die Imperative der Gemeinschaftswährung mindestens ebenso von einem EZB-Präsidenten wie den EU-Regierungschefs definiert.
Die Amerikaner mögen zum Agreement mit Griechenland ermahnen, so viel sie wollen – die Desintegration Europas zehrt nicht nur von diesem Konflikt.
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