Ein Offenbarungseid

Afghanistan Schon die Wahl war eine Farce. Auch die künftige Regierung in Kabul wird eine sein
Ausgabe 40/2019
Ein Mann in Afghanistan am Tag nach der Wahl, dem 29. September 2019
Ein Mann in Afghanistan am Tag nach der Wahl, dem 29. September 2019

Foto: Paula Bronstein/Getty Images

Das Beste, was man diesem Votum wünschen konnte, wäre ein erfolgreicher Abschluss der Gespräche zwischen der US-Regierung und den Taliban gewesen. Dies hätte dazu geführt, diese Präsidentenwahl entweder abzusagen – oder wenigstens zu relativieren. In diesem Fall hätte der Hinweis genügt: Wer sich auch immer zum Sieger erklärt und zum Staatschef schlägt, weiß um die Endlichkeit seines politischen Daseins. Irgendwann, vermutlich bald, läuft das Mandat aus. Mit welcher demokratischen Legitimation es zustande kam, ist dann sekundär. Dank einer Machtteilhabe der Taliban, auf die sich deren Führer in Camp David mit Donald Trump einigen wollten, hätte es eine neue Administration geben müssen, in welcher Konfiguration auch immer.

Stattdessen hat die gescheiterte Diplomatie einem gescheiterten Staat zu einem Offenbarungseid verholfen, der entlarvender kaum sein kann. Weder eine Wahlbeteiligung unter 20 Prozent noch aus Sicherheits- und anderen Gründen flächendeckend geschlossene Wahllokale noch das fragwürdige Prozedere, wochenlang auszuzählen und Manipulationen regelrecht herauszufordern, noch die Alternativlosigkeit zwischen den maßgebenden Bewerbern wie dem bisherigen Staatschef Aschraf Ghani und seinem Herausforderer Abdullah Abdullah befördern diese Wahl zur Wahl. Was sich stattdessen abgespielt hat, wurde zum untrüglichen Indikator für eine Doppelherrschaft am Hindukusch. Indem die Taliban so viele Wähler (über sieben Millionen registrierte Bürger) dazu zwangen oder davon überzeugten, von ihrem Stimmrecht keinen Gebrauch zu machen, nahmen sie nicht nur Einfluss auf den Urnengang an sich. Sie entschieden darüber, über welchen Leumund ein Präsident in Kabul verfügt, dem weniger als zehn Prozent aller Wahlberechtigten ihre Stimme gaben. Gewöhnlich reicht das nirgendwo zum Amt, in Afghanistan vermutlich schon. Womit jede künftige Regierung in Kabul eine Karikatur ihrer selbst ist – ohne wirklichen Rückhalt in der Bevölkerung, von den Amerikanern mehr geduldet als gebraucht, durch ihre afghanischen Gegner verachtet und verfemt.

Wer das hinnehmen muss, braucht so viel Kraft für sein politisches und physisches Überleben, dass diese notgedrungen zum Regieren fehlt.

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Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur „Politik“, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen. Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zum Freitag. Dort arbeitete es von 1996 bis 2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

Lutz Herden

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