Ein Staat wird abgewrackt

Libyen Das Land hat nach dem Sturz von Premier Ali Seidan nur noch eine provisorische Regierung. Längst haben Rebellenclans das Sagen und bereichern sich, wie es ihnen gefällt
Ausgabe 11/2014

Was wurde Libyen alles an lichter Zukunft versprochen. Ohne den Autokraten Muammar al-Gaddafi winkten Demokratie und Menschenrechte, Good Governance und Gerechtigkeit, eine Rückkehr in die Gemeinschaft ehrbarer Staaten und so vieles mehr. Inzwischen fällt es schwer, dieses Land noch einen Staat zu nennen. Es wäre leichter, für Libyen eine Abwrackprämie auszuloben. Die freilich nicht sonderlich üppig ausfallen dürfte. Inzwischen drängt sich ein Vergleich mit Somalia auf. Libyen scheint ähnlich unregierbar, zerfällt in Stammesgebiete und wird von Rebellenclans in Schach gehalten, die ihren Freiheitskampf von einst vergoldet sehen und ordentlich Dividende einstreichen wollen. Kurzum, wenn sich in Nordafrika ein Gemeinwesen für das Zertifikat failed state empfiehlt, dann Gaddafis ehemaliger Modellstaat eines islamischen Sozialismus.

Um einer solchen Bewerbung mehr Nachdruck zu verleihen, haben nun kriminelle Gangs im Ölhafen as-Sidr einen Tanker gekapert und dessen Fracht offenbar im Ausland privat verkauft. Als Reaktion drohte die Regierung des inzwischen getsürzten Premiers Ali Seidan mit der Bombardierung des Raubguts. Doch wollten die Scheinautoritäten von Tripolis diesmal ihre Lufthoheit definitiv allein auskosten und ohne Beistand der NATO auskommen. Die Allianz hatte sich beim Gaddafi-Sturz im Oktober 2011 so gewaltig wie gewalttätig darum verdient gemacht, dass Leute triumphierten, die herunter wirtschafteten, was ihnen in den Schoß fiel. Die ohnehin gern vernachlässigte politische Nachsorge nach dem militärischen Eingriff blieb in diesem Fall alles schuldig. Als sei mit dem erst von den USA besetzten, dann sich selbst überlassenen und heute vom Terror zersprengten Irak nicht schon zu viel des Schlechten getan.

Es stellt sich mehr denn je die Frage nach dem Sinn der NATO-Intervention in Libyen vor drei Jahren. Sollte nicht ein Öl-Förderstaat so weit verändert werden, dass seine Zuverlässigkeit als Öl-Exporteur über jeden Zweifel erhaben war? Wenn seither jedoch die Tagesausbeute von 1,4 Millionen auf 230.000 Fass gesunken ist, kann dieser Effekt der Aktion „regime change“ nur als Debakel gedeutet werden.

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Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur „Politik“, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen. Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zum Freitag. Dort arbeitete es von 1996 bis 2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

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