John Kerry könnte noch ein ganzes Jahr lang zwischen Ramallah und Jerusalem, zwischen Mahmud Abbas und Benjamin Netanjahu hin und her pendeln. Es würde immer auf das Gleiche hinauslaufen und der Emissär den Beweis antreten: Der Wille der Diplomatie kann die Macht der Tatsachen nicht aus den Angeln heben. Und die besagen, dass in der Westbank inklusive Ostjerusalem gut eine halbe Million jüdischer Siedler auf einem Territorium leben, das eigentlich palästinensisches Staatsgebiet sein sollte. Wer an der Zweistaaten-Lösung festhält – nach außen hin tun das die Amerikaner genauso wie die EU und die Vereinten Nationen – müsste eigentlich erkennen, dass sich der reale Staat Israel den optionalen Staat Palästina Quadratkilometer fü
er für Quadratkilometer einverleibt. Und mit dem was übrigen bleibt, lässt sich kein Staat machen. Nur LippenbekenntnisseNicht allein ein rechtsnationaler Premier wie Benjamin Netanjahu hat diese Politik der "faits accomplis" zu verantworten. Vorgänger wie Ehud Barak oder Ehud Olmert fühlten sich gleichermaßen berufen, gegen internationales Recht zu verstoßen, indem sie besetztes Gebiet besiedelten und dessen Rückgabe dadurch erschwerten. Amerikanische Präsidenten von George Bush sen. über Bill Clinton und George Bush jun. bis zu Barack Obama haben dies toleriert. Genau genommen sogar unterstützt, weil sie die strategische Partnerschaft zwischen den USA und Israel nicht dazu nutzen wollten, die Urheber dieser Landnahme zu zügeln. Warum eigentlich? Was haben sie am meisten gescheut? Den innenpolitischen Aufschrei, den Sanktionen gegen Israel in den USA unweigerlich provoziert hätten? Oder herrschte im Weißen Haus bei demokratischen wie republikanischen Hausherren die Überzeugung vor, dass die Zwei-Staaten-Lösung nicht unbedingt das ideale Muster sein würde, für das sich die USA verwenden sollten – allen Road Maps und Lippenbekenntnissen zum Trotz? Denn was würde ein Staat der Palästinenser anderes sein als ein Hort der Instabilität, ein Konfliktherd und Kostgänger globaler Entwicklungshilfe? John Kerry darf nun ernten, was mit dieser Ambivalenz gesät wurde. Zum diplomatischen Mantra erhobene Begriffen wie „Friedensprozess“, „israelisch-palästinensischer Dialog“ oder „Zwei-Staaten-Lösung“ sind zu politischer Semantik ohne Inhalt verkommen, die jeden Bezug zur Realität verloren haben. Welche israelische Regierung, vor allem welche israelische Armee sollte 500.000 Israelis aus Judäa und Samaria, wie sie das Westjordanland nennen und als legitime Heimstatt empfinden, zum Rückzug bewegen – oder gar zwingen? Haben die Knesset-Wahlen im Januar, bei denen sich Premier Netanjahu trotz einer prekären wirtschaftlichen Bilanz halten konnte, nicht gezeigt, dass eine Mehrheit der jüdischen Israelis hinter ihm steht, wenn er in der Siedlungsfrage expansiv bleibt und keine Kompromisse will? Weder gegenüber den Palästinensern noch den Amerikanern! John Kerry kann davon nichts umkehren und sollte sich nicht länger an Netanjahus Sturheit abarbeiten. Israels Regierungschef will ohne Vorbedingungen verhandeln – das heißt im Klartext, ohne Abstriche am Siedlungsprogramm. Mahmud Abbas muss auf einem Moratorium bestehen, will er sich nicht lächerlich machen und das Gesicht verlieren. Also wo will man sich treffen? Und wenn man sich trifft, worüber verhandeln? Das Ruder herumreißenInsofern scheint es an der Zeit zu sein, über einen völlig anderen Ansatz, z. B. einen bi-nationalen Kompromiss nachzudenken. Einen Ausweg, der die Zwei-Staaten- durch eine Ein-Staaten-Lösung ersetzt und den Palästinensern die Rechte israelischer Staatsbürger in einem – Staat oder Konföderation genannten – Gemeinwesen einräumt. Sicher, auf den ersten Blick ein utopisch anmutendes Unterfangen, das angesichts einer jahrzehntelang aufgestauten Feindschaft zwischen Israelis und Palästinensern irreal wirkt. Aber warum sollte es verboten sein, das Undenkbare als das allein Machbare zu erwägen? Nach 40 Jahren Siedlungsbau erscheinen 40 Jahre Siedlungsrückbau weniger realistisch als 40 Jahre Koexistenz zwischen Israelis und Palästinensern.Natürlich kann die heutige Führung in Ramallah des Ruder nicht plötzlich herumreißen und das Projekt eigener Staat gegen das Ziel Existenzrecht in einem fremden eigenen Staat eintauschen. Auch haben israelische Regierungen absolut nichts dafür getan, dass palästinensische Führer zu Partner wurden, mit denen man über einen solch radikalen Paradigmenwechsel diskutieren könnte. Andererseits kann John Kerry Benjamin Netanjahu bedeuten, dass die Zeit nicht unbedingt auf seiner Seite steht. Um Bashar al-Assad in Damaskus zu stürzen, könnten sich die USA auf ein Nachfolge-Regime einlassen, das sich dank der Schirmherren Saudi-Arabien und Katar durch militante Gegnerschaft zu Israel auszeichnet. Wer ein zerstörtes Land regiert und ökonomisch nichts vollbringen kann, wird sich anderweitig zu legitimieren suchen, z.B. durch aggressive Feindschaft gegenüber Israel. Auch wird die Obama-Administration anders als die Israelis dem große Krach mit Teheran aus dem Wege gehen und den neuen iranischen Staatschef zunächst einmal anders behandeln als Vorgänger Ahmadinedjad.Schließlich wissen die USA selbst nicht, wo sie künftig im Nahen Osten noch auf Verbündete rechnen können, d.h. ihre Politik bleibt so unwägbar wie die ganze Region unberechenbar. Da könnte es von Vorteil sein, wenn Israelis und Palästinensern etwas anderes einfällt, als fortgesetzt auf der Stelle zu treten.