Ein unglaublicher Vorgang

Zypern-Paket Die Zwangsabgabe auch für zypriotische Kleinsparer kommt einer Zwangsenteignung gleich. Selten ist in der Eurozone eine so kurzsichtige Entscheidung getroffen worden
Ein unglaublicher Vorgang

Foto: Barbara Laborde/ AFP/ Getty Images

Man stelle sich vor, welcher Aufstand in Deutschland entfesselt würde, wären alle Bankkunden über Nacht damit konfrontiert, dass mindestens 6,75 Prozent ihrer Einlagen eingefroren, nicht mehr zugänglich, quasi verloren seien. Dass Millionen Menschen in diesem Land als Dienstleistungskulis für Niedriglöhne arbeiten oder sich die amerikanischen Freunde mit ihren Drohnen tagtäglich des vorsätzlichen Tötens schuldig machen, lassen die deutschen Wohlstandsmilieus an sich abtropfen. Betrifft uns nicht, kann man ignorieren oder ausblenden. Gerät jedoch das bei Banken Angelegte in Gefahr, geht es ums Eingemachte. Sich daran zu vergreifen, das sollten besser keine Bundesregierung und keine Brüsseler EU-Zentrale riskieren.

Kollektive Enteignung

Man erinnere sich, wie Kanzlerin Merkel und ihr damaliger Finanzminister Steinbrück am 5. Oktober 2008 nach dem Crash der US-Bank Lehman Brothers und dem Fast-Crash des deutschen Geldhauses Hypo Real Estate eine Garantieerklärung für alle Bankkunden abgaben. Steinbrück damals: „Ich möchte gern unterstreichen, dass wir in der Tat in der gemeinsamen Verantwortung, die wir in der Bundesregierung fühlen, dafür Sorge tragen wollen, dass die Sparerinnen und Sparer in Deutschland nicht befürchten müssen, einen Euro ihrer Einlagen zu verlieren.“

Den Zyprioten wird genau das zugemutet. Man kann die EWG-, die EG- und die EU-Geschichte abgrasen, so viel man will – es wird sich kein vergleichbarer Vorgang für die gemeinschaftliche Zwangsenteignung der Bürger eines EU-Staates finden. Wer geglaubt haben sollte, es seien schon mit Griechenland kaum zu übertreffende Exempel statuiert worden, sieht sich eines Besseren belehrt. Dass über Nacht auf Zypern auch der letzte Kleinsparer rasiert wird, ohne dass es einen Beschluss der Regierung in Nikosia, eine Konsultation, geschweige denn eine Entscheidung des zypriotischen Parlaments gab, erinnert an eine Kollektivstrafe. Sollte die EU eine Solidargemeinschaft sein, wie häufig postuliert wird, kann das nur befremden und abstoßen.

Selten ist in der Eurozone seit Ausbruch der Eurokrise eine derart kurzsichtige und alles andere als „Finanzmarkt“ gerechte Entscheidung gefällt worden. Investoren wussten bisher, dass ihre Staatsanleihen früher oder später nicht mehr sicher sein konnten. Nun wissen Millionen Sparer, dass ihre Guthaben von heute auf morgen gekappt werden können. Wie werden darauf Italiener, Griechen, Spanier oder Portugiesen reagieren, wenn sie dem Umgang mit Zypern entnehmen können, was ihnen blüht?

Auch in diesen Ländern ist die Finanz- vor allem eine Bankenkrise. Soll es einen Run auf die Banken geben, wenn alle Kunden von ihren Konten retten, was noch zu retten ist? Man kann die Eurozone wahrlich durch einen intelligenteren Coup in die Luft sprengen als durch das Zypern-Paket, eine Beleidigung des ökonomischen Sachverstands und des gesunden Menschenverstandes sowieso.

Kein Schuldenschnitt

Die Zyprioten mögen nun nachvollziehen, weshalb es in Brüssel und Berlin für euphorische Begeisterung gesorgt hat, als sie Ende Februar den konservativen Nikos Anastasiades mehrheitlich zum neuen Präsidenten wählten. Und sie werden vielleicht ermessen, weshalb sich dessen Vorgänger Dimitris Christofias bis zuletzt geweigert hat, solcherart Entmündigung durch die EU seinen Segen zu geben.

Um allen Irrtümern vorzubeugen – man hat es mit einem völlig anderen Verfahren zu tun als beim Schuldenschnitt im März 2012, der die Privatgläubiger Griechenlands ereilte und zum temporären Schuldenerlass von 100 Milliarden Euro führte. Dieser Haircut traf Finanzinvestoren – also Eigentümer von Schuldverschreibungen des griechischen Staates – die mit einer nicht eben geringen Gewinnerwartung Anlagen platziert hatten, deren mögliche Risiken den möglichen Renditen in nichts nachstanden. Was diese Anleger abschreiben mussten, war beträchtlich, hielt sich aber durch den Tausch gegen Wertpapiere mit längeren Laufzeiten und die Garantien der EZB in Grenzen. Mit diesem Schuldenschnitt sollten nicht zuletzt Spekulanten getroffen werden, die an den Kapitalmärkten auf den Totalbankrott Griechenlands und den Rauswurf aus der Eurozone gewettet hatten.

Ganz anders verhält es sich, wenn Sparern quasi über Nacht handstreichartig 6,75 Prozent ihrer Bankeinlagen entzogen werden. Über den Haircut für die Privatgläubiger Griechenlands wurde lange debattiert und verhandelt. Finanzinvestoren wussten, was auf sie zukommt. Sie konnten an Griechen-Bonds abstoßen (und haben das getan), was sich von den Gewinnaussichten her als Rohrkrepierer erwiesen hatte.

Welche Sternstunde

Das Exemplarische der „Zypern-Rettung“ besteht nicht allein in der anmaßenden Fremdbestimmung eines souveränen Staates, sondern im Negieren demokratischer Regeln. Demokratie wird nicht missbraucht oder manipuliert, sie wird schlichtweg übergangen. Das zypriotische Parlament darf über bereits getroffene Entscheidungen entscheiden. Welche Gnade! Welche Sternstunde der bürgerlich-parlamentarischen Demokratie und all der Gesundbeter, die ihr das ewige Leben wünschen.

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

lutz herden | Lutz Herden

Redakteur, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen.

Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zur Wochenzeitung Freitag. Dort arbeitete es von 1996-2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

Lutz Herden

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