Griechen-Wahl Erstmals ist in einem Euro-Land die EU-Krisenpolitik klar abgewählt worden.
Der Syriza-Sieg kündigt nicht nur einen Regierungs-, sondern auch einen Politikwechsel an
So viele Griechen haben es nicht mehr ertragen, mit dem Fluch der Ohnmacht beladen zu sein. Sie können für sich das Verdienst in Anspruch nehmen, die ersten gewesen zu sein. Sie haben als erste in Europa mit dem Mut der Verzweiflung eine Krisenpolitik abgewählt, die sie als Objekte statt als Menschen behandelt hat. Und sich unbelehrbar zeigte. Was auch immer auf diesen 25. Januar 2015 folgt – daran kann nicht gerüttelt werden.
Dem anstehenden Regierungswechsel wird ein Politikwechsel folgen. Doch ist mit diesem Sieg des Linksbündnisses Syriza noch nichts gewonnen. Allein der Wille – aus der Not geboren und in einen erbitterten Wahlkampf getragen – dass eine Regierung in Athen nicht länger Schleppträger der „Heiligen Familie“ a
e“ aus Finanzkapital, Börsenspekulation und EU-Technokratie sein soll, hat sich demokratische Legitimation verschafft. Es dürfte besonders in Brüssel und Berlin viel unternommen werden, ihn zu brechen. Die Griechen, die im Namen von Würde und Souveränität aufbegehren und Syriza gewählt haben, bekommen zu hören: Wagt es ja nicht! Vernichtet nichts! Zerstört nicht euer Armenhaus! Es ist euer letztes Refugium vor dem Abgrund! Was euch zugemutet wurde, ist ohne Alternative.Es würde eine Welt erschüttern, ließe sich das Gegenteil beweisen. Womit gesagt ist, was eine von Syriza geführte Exekutive zu leisten hat. Es wird nicht beim Gezeter der um ihre Kassenschränke bangenden „systemrelevanten“ Banken und ihrer Helferschar in der EU-Hierarchie bleiben. Reagieren die Finanzmärkte für den Moment oder für länger irrational, schaffen sie die Voraussetzungen für eine sich selbst erfüllende Prophezeiung. Sie lautet in Worte gefasst: Wenn die Griechen die ihnen auferlegten Pflichten missachten, gefährden sie die gesamte Eurozone. Alexis Tsipras, der „gefährlichste Mann Europas“, hieß es. Es ist das alte Spiel, das auf die Angst des furchtsamen Philisters zielt und seine Feindbilder auskosten will. Sollten die Pogrom-Geräusche anschwellen, wird Syriza keine andere Wahl haben, als mit der Straße im Rücken zu regieren. Leider ist zu fürchten, dass der in Europa selig entschlafene Sozialismus nicht auf die dazu nötige Solidarität eingestellt ist.Diktat der SparpaketeDiese Solidarität ist notwendig. Was Griechenland seit 2010 als Staat an Eigentum und als Gesellschaft an Sozialität preisgeben musste, ist für ein westliches Land seit dem Zweiten Weltkrieg ohne Beispiel. Es lässt sich mit dem Tribut vergleichen, wie er Deutschland ab 1919 mit dem Versailler Vertrag auferlegt war. Nur haben die Griechen in Europa keinen Krieg geführt, geschweige denn einen angezettelt. Sie mussten infolgedessen keine historische Schuld abtragen, auch wenn es den Anschein hatte.Zwischen März 2010 und April 2013 wurden allein sechs Sparpakete wie Diktate verhängt. Als es damit begann, lag das offizielle Renteneintrittsalter noch bei 61, heute bei 67 Jahren. Die Pensionshöhe sank seit 2010 im Schnitt um ein Viertel. Gab es 2010 noch 900.000 Beschäftigte im öffentlichen Dienst (für ein Land mit elf Millionen Einwohnern zugegeben eine hohe Zahl), sind davon per 1. Januar 2015 noch etwa 650.000 übrig. Wäre dieser Sektor in Deutschland vergleichbar geschröpft worden, hätte dies bedeutet: Von seinen im Jahr 2010 4,6 Millionen Mitarbeitern wären bis heute 1,3 Millionen entlassen. Dem wäre ein Sturm der Entrüstung gefolgt, der Deutschland in eine Zerreißprobe sondergleichen getrieben hätte.Niederlage für MerkelMit diesem Aderlasse nicht genug. Man muss sich nur vor Augen halten, dass inzwischen eine Million Griechen ohne Krankenversicherung leben und 300.000 Familien ohne Strom, weil sie sich den nicht mehr leisten können.In EU-Europa kulminiert gerade die Debatte, wie Konjunktur, Wachstum und Wohlfahrt zu stimulieren sind, damit Millionen Menschen nicht länger sozial ausgegrenzt werden – als gnädig alimentierte Reservearmee, die als Drohkulisse für alle anderen dient. Der Syriza-Sieg wird die Debatte darüber anheizen und polarisieren. Er strahlt nicht nur auf Troika-Staaten – oder besser -Opfer – wie Zypern, Irland oder Portugal aus. Auch Spanien, Frankreich und Italien müssen sich die Schuldenschlinge vom Hals reißen. Deren Regierungen stehen vor der Wahl: Wollen sie verantworten, dass in ihren Ländern Wut und Empörung mehr denn je Nationalismus, Europaskepsis und Rassismus befeuern? Oder wird ein Konflikt mit dem deutschen EU-Dominator und seiner Kanzlerin riskiert, deren Euro-Nationalismus der europäischen Idee schwer zugesetzt hat. Um so mehr ist der Wahlerfolg für Syriza eine Niederlage für die deutsche Kanzlerin und ihre Koalition aus CDU/CSU und SPD. Man schien zuletzt erahnt zu haben, was in Athen heraufdämmert. Mediale und politische Polemiken gegen Alexis Tsipras gerieten weniger herablassend. Sie hatten eine Tonalität wie bei Mario Draghi, dem so freigiebigen EZB-Präsidenten.Linke AlternativeWie das Votum in Griechenland zeigt, kann Widerstand gegen das Austeritäts- und Spardogma nicht nur wählbar und mehrheitsfähig, sondern auch links sein. Im Gegensatz zu Frankreich mit seinem Front National, den Rechtspopulisten von der Freiheitspartei (PVV) in den Niederlanden, den Schwedendemokraten, den Wahren Finnen oder den Wohlstandschauvinisten von der Dänischen Volkspartei und so weiter. Die Frage wird sein, wie es neben der Wählbarkeit um die Politikfähigkeit des Wahlsiegers bestellt ist. Das Sofortprogramm von Syriza ist bekannt. Danach soll der Mindestlohn von 586 auf 700 Euro steigen, Gleiches für das Rentenniveau gelten und mit Ausgaben von 11, 5 Milliarden Euro der größten sozialen Not entgegengewirkt werden. Darüber hinaus soll die EZB alle Schuldentitel übernehmen, die in der Summe ihres Nominalwertes über 50 Prozent des griechischen Bruttoinlandsproduktes liegen.Oft wird argumentiert, die nunmehr 19 Euro-Staaten zählende Währungsunion müsse um des europäischen Projekts willen erhalten werden. Was ist darunter zu verstehen? Das Bekenntnis zu einem hehren Ideal wie Solidarität, zu hohen Standards für Menschenrechte und soziale Gerechtigkeit? Die Abkehr von Nationalismus – politische und wirtschaftliche Integration, die ein demokratischer Vorgang und kein Kompendium der EU-Richtlinien ist? Der Umgang mit Griechenland nach der getroffenen Wahlentscheidung wird mehr als nur andeuten, wie viel davon übrig ist oder unwiederbringlich verloren ging.
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