Ein Wink für Merkel

US-EU-Gipfel Der Empfang für die EU-Spitzen im Weißen Haus, die in Europa bestenfalls als Moderatoren der Eurokrise geduldet werden, wirkt nicht wie ein Liebesgruß nach Berlin

Angela Merkel ist darauf eingeschworen, Schaden vom deutschen Volk abzuwenden. Wie sie das tut, bleibt ihr überlassen. In der Eurokrise läuft dieses Tun derzeit auf die Überzeugung vom Vorrecht auf einen deutschen Weg in der Eurozone hinaus. Doch sollte man nie vergessen, was es wert sein kann, zuweilen wieder „lernen zu lernen“, wie es jüngst die chinesische Vizeaußenministerin Fu Yingden Europäern empfahl, als sie nach dem Beitrag ihres Land zur Euro-Rettung befragt wurde, als sei damit eine Art Tribut-Pflicht verbunden. Die Volksrepublik will sich der bekanntlich nicht beugen und ist auf dem Krisenschauplatz Europa nur in Maßen engagiert. Aber der kleine Verweis auf die Notwendigkeit des wieder „das Lernen lernen“ gibt es gratis.

Man muss sich in Berlin keinesfalls verausgaben, um diesen Wink anzunehmen und zu fragen, was es beispielsweise zu bedeuten hat, wenn nach einer Horrorwoche an den Börsen, mit EU-Ratspräsident Van Rompuy, EU-Kommissionspräsident Barroso und der EU-Außenbeauftragten Ashton ausgerechnet diese europäische Troika im Weißen Haus vorsprechen darf. Alle drei repräsentieren nicht eben unmaßgebliche europäische Institutionen, sind bisher aber mehr als Krisen-Conferenciers gefragt, die bei guter Führung zum Moderator aufsteigen dürfen. Sofern sie nicht aus der Rolle fallen, wie das aus Berliner Sicht gerade José Manuel Barroso mit einem Grünbuch zu Eurobonds fertiggebracht hat.

Präsident Obama dürfte kaum entgangen sein, wie der EU-Kommissionschef für diesen Vorstoß von der deutschen Regierungschefin gerügt wurde und prompt beim Dreier-Gipfel Merkel-Sarkozy-Monti am 25. November in Straßburg fehlte.

Worst-Case-Szenarien

Seit Wochen wirkt die US-Regierung immer ungeduldiger und ungehaltener wegen eines andauernden Siechtums der europäischen Krisenabwehr, die Erfolgsmeldungen schuldig bleibt. In diesem Moment die Vorstände der europäischen Institutionen fast demonstrativ wie Sprecher Europas zu empfangen und zu ermutigen, selbst Hand anzulegen, verdient Beachtung. Kein Wunder, dass Obama so deutlich wird. Seit Italien erkennbar strauchelt, haben sich die Gefahren für die amerikanische Finanzbranche nochmals erhöht. Massive Werteinbrüche bei europäischen Staatsanleihen und Aktiendepots würden US-Banken nicht unberührt lassen. Die US-Notenbank Fed simuliert bereits Worst-Case-Szenarien für den Fall des Falls. Und wer sich die Niedrigzins-Politik des gleichen Instituts zur Sauerstoffzufuhr für eine mehr röchelnde als durchatmende US-Ökonomie vor Augen hält, wird wissen, dass sich im Weißen Haus das Entzücken über den deutschen Entweder-Oder-Rigorismus bei der Euroschlappe in Genzen hält.

Dieser Kurs gerät allzu sehr in die Nähe eines Junktims, das Großschuldner und Eurozone vor die Wahl stellt: Entweder deutsche Stabilitäts- und Spardogmen annehmen oder weiter in Richtung Abbruchkante robben. Dabei haben alle unterhalb der Rettungsmarke Eurobonds liegenden Versuche, Wirkung und Finanzkraft des Europäischen Rettungsfonds (EFSF) zu steigern, nicht das erhoffte Resultat. Vorerst bleibt die Hebelung auf eine Billion Euro eine Illusion. Folglich werden die Bürgen – sprich: die Eurostaaten – irgendwann wieder aktiv und in ihren Garantien zulegen müssen. Wie und wann – das läuft auf einen Wettlauf hinaus zwischen den privaten Gläubigern der Staatsschuldner in der Eurozone und dem Willen der deutschen Kanzlerin, die EU-Verträge so zu ändern, dass Defizitsünder künftig mit automatischen Sanktionen rechnen müssen. Wenn Merkel den gewinnt, dürften danach auch gemeinsame Anleihen aller Euro-Staaten eine Option sein. Dass sie ihn gewinnt, wird allerdings mit jedem Tag unwahrscheinlicher, an dem die Zinsen für die Refinanzierung italienischer oder spanischer Staatspapiere steigen. Wie sehr dieses Vabanque-Spiel inzwischen in Washington für Unruhe sorgt, hat das Treffen Obamas mit den EU-Spitzen spüren lassen.

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Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur „Politik“, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen. Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zum Freitag. Dort arbeitete es von 1996 bis 2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

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