„Eine klare Lektion“

Interview Benjamin Hoff, Ex-Minister der Linken in Erfurt, findet, dass derzeit jede Wahl in Thüringen eine Entscheidung über Bodo Ramelow ist
Ausgabe 07/2020

Sosehr sich die Linkspartei in Thüringen geschockt zeigt über den Wahleklat am 5. Februar, ist sie doch andererseits gewillt, an ihrem Kandidaten für das Amt des Regierungschefs in Erfurt festzuhalten. Nicht nur die Wahl vom 27. Oktober empfiehlt Bodo Ramelow für dieses Mandat, auch die Umfragen bestätigen seinen Anspruch.

der Freitag: Herr Hoff, wenn man die letzten Tage überblickt, hat es sich gelohnt, eine Politik des Ausgleichs zu verfolgen, wie Ihre Regierung das seit 2014 getan hat?

Benjamin Hoff: Zunächst einmal müssen wir uns nach dem, was im Landtag Thüringens passiert ist, der Herausforderung stellen, dass diejenigen, die sich aktiv und nicht aktiv in der Tradition der NSDAP sehen, keinen wachsenden Einfluss auf die Politik in diesem Bundesland haben dürfen. Und zu Ihrer Frage kann ich nur sagen, eine Strategie erweist sich nicht dadurch als langfristig falsch, dass die Resonanz darauf kurzfristig nicht so ausgefallen ist, wie wir uns das wünschen.

In Thüringen versucht die Linke nicht zuletzt, die gesellschaftliche Mitte zu erreichen. Halten Sie weiter daran fest?

Ich halte diese Aussage nicht für richtig. Vielmehr müsste man sagen, wir vertreten die Interessen derjenigen, die in der Gesellschaft ausgegrenzt werden – das sind die sozial Deklassierten. Aber wir vertreten zugleich all jene, die in Thüringen für gleichwertige Lebensverhältnisse in allen Teilen unseres Landes sind. Auch dass wir in der Gruppe der Bäuerinnen und Bauern in diesem Bundesland die größte Zustimmung haben, spricht für eine bestimmte Politik des sozialen Ausgleichs.

Ist es denkbar, dass vom 5. Februar weniger die Linken als die Grünen profitieren? Sie könnten letztlich für eine nicht rechte Mitte, die bisher CDU gewählt hat, die wählbare Alternative sein.

Ich finde die Fragestellung problematisch. Ob jetzt die Linken oder die Grünen von der Tatsache profitieren, dass ein Ministerpräsident in Thüringen von der AfD mitgewählt wird, kann nicht im Ernst die Frage sein. Maßgebend ist doch wohl der Umstand, dass erstmals eine Partei, deren Mitglieder hier in der Landtagsfraktion aus in der Wolle gefärbten Nationalsozialisten bestehen, Einfluss auf die Wahl eines Ministerpräsidenten nehmen konnte. Worüber reden wir hier gerade?

Ich glaube, Sie haben mich missverstanden. Meine Frage zielte darauf, ob nicht bisherige Wähler der Landes-CDU nach deren Verhalten am 5. Februar und danach sagen: Wir wählen die Grünen, weil die Linke für uns dann doch nicht wählbar ist.

Ich glaube, dass eine Wahl, die in Thüringen stattfindet, zum gegenwärtigen Zeitpunkt vor allem eine Wahl über die Person von Bodo Ramelow sein wird.

Wie stark haben antikommunistische Affekte in den bürgerlichen Parteien auf das jüngste Geschehen in Thüringen Einfluss genommen?

Die Wahl ist Ausdruck dafür, dass es Teilen der FDP und der CDU immer lieber ist, einen Linken zu verhindern. Sie tragen damit in der Tat einem Verhalten Rechnung, das man früher als antikommunistischen Reflex gedeutet hat das und heute aus einer völlig falschen Hufeisen-Theorie herrührt. Diese besagt, es geht darum, auf der linken wie auf der rechten Seite Extremisten zu verhindern. Für mich ist das eindeutig ein Versagen der sogenannten bürgerlichen Parteien, wie es sich bei dieser Ministerpräsidentenwahl gezeigt hat.

Wie viel AfD steckt heute schon in den Landesverbänden der FDP und der CDU in Thüringen?

Bei der FDP lässt sich das schwer sagen, aber klar ist natürlich, sie hatte immer einen starken nationalkonservativen Flügel, das war stets eine ernst zu nehmende Tendenz. Manchmal sprach man auch von der Stahlhelm-Fraktion. Wir haben uns die FDP eben als wirtschaftsliberale oder sozialliberale Partei schöner geredet, als sie wirklich ist.

Und was ist mit der CDU?

Bisher sind wir im Blick auf Sachsen-Anhalt davon ausgegangen, dass es dort einen relevanten Teil der Landes-CDU gibt, der mit der AfD liebäugelt. Ich würde sagen, dass eine solche Tendenz inzwischen genauso in der Thüringer CDU stärker wurde. Dies hat sicher auch damit zu tun, dass der Ministerpräsident seit 2014 aus der Linken kam und dadurch weniger der Zustimmungswert zur AfD nach oben ging, als vielmehr der Reflex ausschlaggebend war, gegen einen linken Regierungschef das zu mobilisieren, was alles zur Verfügung stand.

Zur Person

Foto: Imago Images/Bild13

Benjamin Hoff, 43, war bis zum 5. Februar Minister für Kultur-, Bundes- und Europaangelegenheiten und Chef der Thüringer Staatskanzlei. Er studierte Sozialwissenschaft an der Humboldt-Universität zu Berlin, trat 1993 in die PDS ein und war unter anderem Bundessprecher des Forums Demokratischer Sozialismus

War Thüringen am 5. Februar so etwas wie ein Test für Sachsen-Anhalt, wo bei der 2021 anstehenden Landtagswahl mit einem ähnlichen Ergebnis für die AfD wie in Thüringen zu rechnen ist?

Ich glaube, dass in dieser Hinsicht die ostdeutschen Länder nicht unbedingt miteinander vergleichbar sind. Die Thüringer CDU hat es nie verwunden, dass sie vor gut fünf Jahren die politische Macht abgeben musste. Aus diesem Grund ist die Entscheidung vom 5. Februar nicht zuletzt aus dem Umstand heraus zu erklären, dass man die Schmach eines solches Verlustes korrigieren wollte, indem man den linken Kandidaten verhindert hat. Dennoch würde ich nicht so weit gehen und sagen, dass jede Stimme gegen Bodo Ramelow zugleich eine Stimme für die AfD war. Und das unterscheidet die Thüringer CDU einmal mehr von der in Sachsen-Anhalt.

Was bedeuten die jüngsten Vorgänge für das Koalitionsmuster Rot-Rot-Grün, das ja bundespolitisch kaum Chancen hat, aber landespolitisch in Thüringen relativ erfolgreich war?

Ich glaube, dass wir seit vielen Jahren mit Rot-Rot-Grün sehr viel weiter wären, wenn wir die Pathologien zwischen den drei Parteien reduziert hätten. Deshalb würde ich mir wünschen, dass zwischen den Grünen, der SPD und der Linkspartei angesichts der Geschehnisse in Thüringen klarer wird, was sie durch ihr Wertefundament verbindet, statt immer darüber zu reden, wo es vor allem Differenzen gibt, etwa in der Außen- und Sicherheitspolitik. Insofern könnte der 5. Februar ein Anstoß zur Besinnung gewesen sein.

Was verstehen Sie unter Pathologien? Eine pathologische Neigung, Differenzen herauszustellen, um zu sagen, was trennt?

Nicht allein das. Ich meine auch die Neigung, sich gegenseitig zu beschimpfen und in Frage zu stellen. Wir haben doch Jahre damit zugebracht, uns die Zulässigkeit unserer politischen Existenz abzusprechen.

Sollte Bodo Ramelow nun doch zum Ministerpräsidenten gewählt werden, welche Folgen hätte dies für das Verhältnis der Linken zur Landes-CDU und Landes-FDP, nachdem die so offenkundig mit der AfD kooperiert haben?

Bodo Ramelow kann nur gewählt werden, wenn es die Zustimmung von Abgeordneten der CDU und/oder der FDP gibt. Insofern stellt sich diese Frage erst nach erfolgreicher Ministerpräsidenten-Wahl.

Wie sehen Sie die Chance für ein erfolgreiches Votum, wenn zuvor Abgeordnete aus der CDU verbindlich zusichern sollen, sie würden Ramelow mitwählen?

Wir treffen uns als rot-rot-grüne Parteien am 17. Februar mit der CDU, und danach wird man wissen, ob im Land Thüringen eine stabile Regierung gebildet werden kann oder nicht.

Für wie realistisch halten Sie Neuwahlen, wenn dies an eine Zweidrittelmehrheit im Erfurter Landtag gebunden ist?

Auch darüber werden wir mit der CDU am 17. Februar sprechen.

Häufig wurde jetzt das Wort „Dammbruch“ bemüht. War das übertrieben, wo doch Thomas Kemmerich schon 24 Stunden nach seiner Wahl derart unter Druck geraten war, dass er seine Demission ankündigen musste?

Na ja, wenn ein Damm bricht, dann muss das nicht zwangsläufig heißen, dass es für das betroffene Gebiet durchgehend ein Hochwasser gibt. Es gibt eben trotz dieses Dammbruchs auch zivilgesellschaftliche Dämme, die Bestand haben. Und warum sollte das nicht hoffnungsvoll stimmen?

Lautet eine Lektion des 5. Februar, dass man sich bei allem, was man unternimmt, fragen muss, welches politische Kapital die AfD daraus schlagen kann?

Diese Lektion lautet ganz klar: Bisherige Gewissheiten gelten nicht mehr. Das, was man nicht für möglich hielt, ist nun auf einmal möglich geworden. Vor diesem Hintergrund sollten sich alle strategischen und taktischen Fragen, denen sich Parteien stellen, neu beantworten lassen.

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Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur „Politik“, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen. Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zum Freitag. Dort arbeitete es von 1996 bis 2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

Lutz Herden

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