Eine letzte Versuchung

USA Auch einstige republikanische Hardliner wie Dick Cheney tragen den Aufruf an die US-Armee mit, beim Präsidentenwechsel absolut neutral zu bleiben. Was treibt sie an?
Donald Trump könnte sich noch einmal als Commander-in-Chief in Szene setzen wollen
Donald Trump könnte sich noch einmal als Commander-in-Chief in Szene setzen wollen

Foto: Saul Loeb/AFP via Getty Images

Zu ihrem Appell der Mahnung haben sich die zehn ehemaligen US-Verteidigungsminister offenbar entschlossen, weil sie besorgt sind. Wenn das so ist, muss es dafür ernste Gründe geben. Einen derartigen Aufruf wie den vom 4. Januar 2021 an die US-Streitkräfte, sich beim Machtübergang von Donald Trump zu Joe Biden auf keinerlei unbedachte Handlungen einzulassen und unbedingt neutral zu bleiben, hat es so bei einem Präsidentenwechsel in den USA noch nie gegeben.

Kommt es jetzt dazu, taugt das zum Misstrauensvotum gegen den scheidenden Amtsinhaber, auch zur Niederlage für Donald Trump, der es bis zuletzt an der persönlichen Integrität eines Präsidenten fehlen lässt. Zu den Unterzeichnern des Appells zählen immerhin republikanische Hardliner aus der Zeit des Präsidenten George W. Bush wie Donald Rumsfeld und Dick Cheney, von 2001 bis 2009 Vizepräsident (Verteidigungsminister war er unter Bushs Vater Anfang der 1990er).

Flankiert werden sie von namhaften Militärs wie James Mattis, Mark Esper, Leon Panetta, William Cohen, Chuck Hagel, Robert Gates, William Perry und Ashton Carter. Man kann nur mutmaßen, was sie konkret antreibt. Gibt es Anzeichen, dass sich nicht alle Kommandeure heraushalten aus Trumps letzten Gefechten?

Entscheidung in Teheran

Der für den 6. Januar im Kongress ankündigte Aufruhr gegen das Wahlergebnis vom 3. November, wenn mindestens elf republikanische Senatoren unter Führung von Ted Cruz (Texas) und Josh Hawley (Missouri) die Abstimmung der Wahlmänner nicht bestätigen wollen, wäre nur dann gefährlich, würde er Trump-Anhänger in Massen auf die Straßen treiben. Doch hat es die – zunächst befürchteten – Aufmärsche seit dem 3. November so nie gegeben. Warum also jetzt, wenn selbst Mitch McConnell als republikanischer Mehrheitsführer im Senat dazu auffordert, sich zu mäßigen?

Andererseits finden plötzlich Szenarien gedanklichen Zulauf, in denen die Eventualität eines Militärschlags gegen den Iran oben ansteht. Dafür einen Vorwand zu finden, dürfte Trump nicht schwerfallen. Der Iran hat soeben die Internationale Atomenergieagentur IAEA von seiner Absicht unterrichtet, eine begrenzte Menge an Uran wieder auf 20 Prozent anzureichern.

Von mindestens 120 Kilogramm ist die Rede, die mit Hilfe der unterirdischen Anlage in Fordow erzeugt werden sollen. Die Nationale Atomenergieorganisation in Teheran folgt damit einer vom Parlament beschlossenen gesetzlichen Auflage, wonach eben genau diese Menge vorgehalten werden soll. Sie verletzt das Nuklearabkommen von 2015, das eine Anreicherung bis maximal 3,67 Prozent erlaubt.

Doch was ist dieser Vertrag nach der einseitigen Kündigung durch den Signatarstaat USA noch wert? Seit die im Mai 2018 ausgestiegen sind, fehlt die einst im Konsens beschlossene Geschäftsgrundlage des Deals. Sie bestand in einem Junktim: Verzicht auf die Iran-Sanktionen gegen den Verzicht des Iran auf die Erforschung und Produktion von Atomwaffen.

Längst sieht sich die Islamische Republik wieder drakonischen ökonomischen Repressionen der USA unterworfen. Alles spricht dafür, dass die Führung in Teheran deshalb das in Wien ausgehandelte Agreement als gescheitert betrachtet und sich demzufolge nicht mehr daran hält.

Sicher kann erst bei einem Anreicherungsgrad von etwa 90 Prozent Uran als Kernbrennstoff für Kernwaffen verwendet werden, doch täuschen die Zahlen – von der 20-prozentigen Anreicherung bis zu diesem Level bleibt beim Gaszentrifugen-Verfahren, das im Iran möglich ist, kein weiter Weg.

Präsenz am Golf

Und die USA sind am Persischen Golf derzeit militärisch präsenter als noch vor Monaten. Bereits am 21. Dezember hat die US-Marine das atomgetriebene U-Boot USS Georgia und zwei Lenkwaffenkreuzer durch die Straße von Hormus beordert – Schiffseinheiten, die Mittelstreckenraketen abschießen können.

US-Admiral James Stavridis, von 2009 bis 2013 in Brüssel NATO-Oberbefehlshaber, wird mit dem Satz zitiert: „Mit zwei Kreuzern gibt es jetzt viele Tomahawk-Raketen, die in den Golf fliegen. Hoffen wir, dass wir keinen Überraschungsschlag von Dezember bis Januar haben werden.“

Ein israelisches U-Boot soll gleichfalls auf dem Weg in die Region sein oder ist bereits dort, schenkt man einer Meldung der Jerusalem Post vom 22. Dezember Glauben. Erst kurz nach der US-Präsidentenwahl wurde kolportiert, Präsident Trump habe einen Militärschlag führen wollen. Eindringliche Warnungen diverser Berater, darunter von Verteidigungsminister Mark Esper, der mittlerweile entlassen wurde, hätten verhindert, was in der Luft lag.

Beobachter verweisen zudem auf ein Geheimtreffen, das es am 22. November zwischen US-Außenminister Pompeo, Israels Premier Netanjahu und dem saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman gegeben haben soll.

Commander-in-Chief

Erst vor einem Jahr, am 3. Januar 2020, war mit General Ghassem Soleimani einer der ranghöchsten iranischen Militärs auf Befehl von Präsident Trump bei einem Anschlag am Airport von Bagdad getötet worden. Die derzeit überall im Iran stattfindenden Gedenkmärsche deuten auf eine gespannte Stimmung hin. Käme es zu einer wie auch immer gearteten Militäraktion, fände die Führung in Teheran viel patriotischen Rückhalt und könnte sich darin bestätigt sehen, in ihrer Standhaftigkeit gegenüber dem Erzfeind nie nachgelassen zu haben. Augenscheinlich legt sie derzeit keinen Wert auf Vorsicht und Zurückhaltung, sondern setzt auf Souveränität und Selbstbehauptung, wie es in den 13 Jahre dauernden Verhandlungen bis zum Atomabkommen kaum je anders war.

Feststeht, bei einer Militäraktion könnte sich Donald Trump als Commander-in-Chief in Szene setzen und bei einer Gegenwehr des Iran die Frage provozieren, ob in einer für die nationale Sicherheit der USA kritischen Lage ein Präsidentenwechsel angezeigt ist. Der Senat, noch – und nach der Senatorenwahl am 5. Januar in Georgia vielleicht weiterhin – in republikanischer Hand, könnte ihm dann doch wieder folgen. Wie gesagt eine Möglichkeit. Sie wenigstens anzudeuten, ist der verschwörungstheoretischen Manie geschuldet, die unter dem scheidenden US-Präsidenten hoch im Kurs stand.

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen.

Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zur Wochenzeitung Freitag. Dort arbeitete es von 1996-2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

Lutz Herden

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