Eingreifen für wen?

Syrien „Mutmaßlich“, „angeblich“, „vermeintlich“ – eine Semantik der Vorsicht tönt die Reaktionen im Westen auf den möglichen Giftgaseinsatz im Bürgerkriegsland – kein Zufall
Von Shaam News Network, einem Medium der Opposition, verbreitete Aufnahme über das mutmaßliche Massaker
Von Shaam News Network, einem Medium der Opposition, verbreitete Aufnahme über das mutmaßliche Massaker

Foto AFP

Was sollte die syrische Führung veranlassen, mit Chemiewaffen zu kämpfen, wenn ihr die Chemiewaffen-Inspektoren der UN auf die Finger sehen können? Oder reizt sie gerade das? Wäre es so, müsste man in Damaskus einer tollkühnen, zu guter Letzt selbstmörderischen Obsession verfallen sein: Austesten, ob der US-Präsident die „rote Linie“ überschreitet, wenn die Assad-Streitkräfte dasselbe durch den Einsatz von Sarin, Senfgas oder VX-Kampfstoff tun? Das ist schwer zu glauben – und wenn es so wäre, noch schwerer zu fassen.

Obama und General Dempsey

Vor ziemlich genau einem Jahr hatte Barack Obama erklärt, für die USA wäre eine „rote Linie“ überschritten, sollten Chemiewaffen-Bestände nach Syrien verlegt oder dort eingesetzt werden. Wörtlich hieß es: „Das würde mein Kalkül erheblich ändern.“ Seine Experten hätten für diesen Fall „eine Reihe von Notfallplänen ausgearbeitet“.

Seither hat sich einiges getan. Zunächst einmal konnte sich Obama eine zweite Amtszeit im Weißen Haus sichern. Die resoluten Töne über „rote Linien“ und „Notfallpläne“ vor Jahresfrist waren – auch – dem Wahlkampf gegen Herausforderer Mitt Romney geschuldet. Der attestierte der Regierung, Führungskraft im Nahen Osten verspielt zu haben und zwar gründlich. Bei Syrien gäbe es ein ewiges Zögern und Zaudern, keine Entschlusskraft, kein Konzept.

Inzwischen ist manches passiert, was in den USA und Westeuropa öffentlich zuweilen ausgeblendet, aber politisch beachtet werden dürfte. Die strategische Lage der meisten Rebellenverbände in Syrien hat sich nicht eben verbessert – die Stadt Kusair ging verloren und damit der wichtigste Korridor für Nachschub aus dem Libanon. Hochburgen der Anti-Assad-Front wie Homs stehen unter Druck und können unter Umständen nicht mehr lange gehalten werden. Überdies hat sich in der US-Administration offenbar der Eindruck verfestigt, wie ihn Generalstabschef, General Martin E. Dempsey, pointiert auf den Punkt bringt: Natürlich könne man über Syrien eine Flugverbotszone durchsetzen und so die Assad-Luftwaffe am Boden halten oder deren Jets durch gezielte Angriffe ganz ausschalten. Nur was dann? Es würde in Syrien jenen Kräften ein militärischer Vorteil verschafft, von denen man genau wisse, dass sie keine Verbündeten, sondern dank ihrer islamistischen Prägung und Programmatik eher Gegner oder Feinde der USA seien.

Damit dürfte nicht allein die islamistische, mutmaßlich Al-Qaida fixierte Al-Nusra-Front mit ihren Paten in Saudi-Arabien und Katar gemeint sein. Zu den tragenden Säulen des Widerstandes zählt die syrische Muslim-Bruderschaft. Seit jeher ein Intimfeind des Assad-Clans und nicht minder ambitioniert – wenn man sich der frühen achtziger Jahre erinnert, sogar aggressiver – als die gleiche Organisation auf ägyptischen Boden, die gerade durch eine von den USA alimentierte Armee in ihre Schranken gewiesen wird.

Irak und Syrien

General Dempsey wirft nichts weniger als die Frage auf, wohin man gerät und auf welcher Seite man steht, wenn Obamas „Notfallpläne“ greifen. Darauf gibt es eine Antwort – jetzt schon, bevor mögliche Befunde und Voten von UN-Inspektoren über den Gebrauch von Giftgas in Syrien vorliegen. Erkenntnisse, die im Übrigen nichts über die Verursacher aussagen müssen.

In diesem Kontext, nur als Randnotiz: Nach seiner Wahl zum Premier einer Übergangs- bzw. Exilregierung der Opposition – ein Gremium, von der man nicht genau weiß, wen es vertritt und erreicht – hatte der Kommunikationsmanager Ghassan Hitto im März erklärt, er halte im Kampf gegen das syrische Regime „jedes Mittel für angemessen“, was heißt das? Was bedeutet das, wenn man in Bedrängnis gerät?

Als UN-Inspektoren zwischen 2000 und 2003 unter dem ehemaligen schwedischen Außenminister Hans Blix im Auftrag des UN-Sicherheitsrates nach den Massenvernichtungswaffen von Saddam Hussein suchten, wurden sie nicht fündig – aber die USA und eine Koalition williger Verbündeter holte dennoch zum großen Militärschlag, zu Intervention und Besatzung aus. Kann gut sein, dass die ähnlich mandatierten Inspektoren in Syrien etwas finden und nichts oder fast nichts passiert. Weil das Eine mit dem Anderen zusammenhängt? Bei allem, was jetzt geredet wird – es dürfte unbestreitbar sein, dass die irakische Lektion alle auf Syrien gemünzten Reaktionen beeinflusst.

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Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur „Politik“, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen. Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zum Freitag. Dort arbeitete es von 1996 bis 2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

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