Einsamer als einsam

Yassir Arafat Der Traum vom Staat der Palästinenser

Man konnte zuletzt kaum einsamer sein als Yassir Arafat. Fast alles, was in der internationalen Diplomatie Rang und Namen besitzt und als unverzichtbar gilt, hatte sich schon zu seinen Lebzeiten von ihm verabschiedet, weil dieser Präsident nicht bereit war, sich von seinem Traum eines Staates der Palästinenser zu verabschieden.

Gewiss, formal wird es diesen Staat als abgeschottetes, teilweise eingemauertes, von den Israelis kontrolliertes Homeland, zu dem der Gaza-Streifen und Teile des Westjordanlandes gehören, irgendwann geben. Es wird ein Staat sein, der entstehen darf, weil er darauf verzichtet, ein Staat zu sein, dem Souveränität und Unabhängigkeit so heilig sind wie Flagge und Hymne. Wie viel Souveränität dieses Gebilde je beanspruchen darf, wird von Amerikanern und Israelis abhängen und zwischen Israelis und Palästinensern auszuhandeln sein. Haben die Palästinenser viel Glück, könnten dazu auch die EU, Russland und die Vereinten Nationen als Anwalt der rechtlichen Standards einer amorphen internationalen Staatengemeinschaft gehört werden.

Die gescheiterte Road Map war ein solches Dokument des Interessenabgleichs über die Köpfe der Palästinenser hinweg. Vor allem über den Kopf Arafats hinweg. Er hat sich zum Schluss derartiger Zumutungen, die auf Kapitulation hinausliefen, nicht mehr erwehren müssen. Sharon ließ seinen Todfeind spüren, dass man ihn selbst als Verlierer nicht länger brauche. Arafat war unverwundbar genug, unter diesen Umständen nicht zu demissionieren und den Palästinensern die letzte Gewissheit über die Hoffnungslosigkeit ihrer Lage zu ersparen. Er war Phantast genug, um sich an die Hoffnung zu klammern, das Beispiel seines Beharrens, das nicht mehr als ein Ausharren war, könnte nicht umsonst gewesen und einem künftigen palästinensischen Staat irgendwann nützlich sein.

War Arafat deshalb eine tragische Figur, weil ihm die Kraft zum Opportunismus fehlte? Weil mit ihm noch vor seinem Tode eine Epoche zu Ende ging, in der es möglich schien, das Selbstbestimmungsrecht eines Volkes als international einklagbares Recht zu verteidigen? Arafat hatte dafür Verbündete, wie man bessere nicht haben konnte, die Vereinten Nationen, die ihm mit ihren Resolutionen Recht gaben, das Völkerrecht überhaupt, die politische Moral, die historische Gerechtigkeit, das Nobelpreiskomitee, das ihn 1994 zusammen mit den Israelis Yitzhak Rabin und Shimon Peres auszeichnete. Letzten Endes nützten ihm alle diese Verbündeten nur wenig oder gar nichts. Sie waren eher dazu angetan, Yassir Arafat noch mehr vereinsamen zu lassen.


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Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur „Politik“, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen. Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zum Freitag. Dort arbeitete es von 1996 bis 2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

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